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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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Sie nimmt nicht nur alle Bildung gern an,
die er ihr giebt, sondern sie sucht sich auch auf
diesem Wege so immer weiter zu bringen. Die
Liebe macht vieles Unmögliche möglich, und
endlich geht die dem weiblichen Geschlecht so
nöthige und anständige Unterwerfung sogleich
an; der Bräutigam herrscht nicht wie der
Ehemann; er bittet nur, und seine Geliebte
sucht ihm abzumerken, was er wünscht, um
es noch eher zu vollbringen als er bittet.

So hat mich die Erfahrung gelehrt, was
ich nicht um vieles missen möchte. Ich war
glücklich, wahrhaft glücklich, wie man es in
der Welt seyn kann, daß heißt, auf kurze
Zeit.

Ein Sommer ging unter diesen stillen
Freuden hin. Narciß gab mir nicht die min¬
deste Gelegenheit zu Beschwerden; er ward
mir immer lieber, meine ganze Seele hing
an ihm, das wußte er wohl und wußte es

Sie nimmt nicht nur alle Bildung gern an,
die er ihr giebt, ſondern ſie ſucht ſich auch auf
dieſem Wege ſo immer weiter zu bringen. Die
Liebe macht vieles Unmögliche möglich, und
endlich geht die dem weiblichen Geſchlecht ſo
nöthige und anſtändige Unterwerfung ſogleich
an; der Bräutigam herrſcht nicht wie der
Ehemann; er bittet nur, und ſeine Geliebte
ſucht ihm abzumerken, was er wünſcht, um
es noch eher zu vollbringen als er bittet.

So hat mich die Erfahrung gelehrt, was
ich nicht um vieles miſſen möchte. Ich war
glücklich, wahrhaft glücklich, wie man es in
der Welt ſeyn kann, daß heißt, auf kurze
Zeit.

Ein Sommer ging unter dieſen ſtillen
Freuden hin. Narciß gab mir nicht die min¬
deſte Gelegenheit zu Beſchwerden; er ward
mir immer lieber, meine ganze Seele hing
an ihm, das wußte er wohl und wußte es

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[245/0251] Sie nimmt nicht nur alle Bildung gern an, die er ihr giebt, ſondern ſie ſucht ſich auch auf dieſem Wege ſo immer weiter zu bringen. Die Liebe macht vieles Unmögliche möglich, und endlich geht die dem weiblichen Geſchlecht ſo nöthige und anſtändige Unterwerfung ſogleich an; der Bräutigam herrſcht nicht wie der Ehemann; er bittet nur, und ſeine Geliebte ſucht ihm abzumerken, was er wünſcht, um es noch eher zu vollbringen als er bittet. So hat mich die Erfahrung gelehrt, was ich nicht um vieles miſſen möchte. Ich war glücklich, wahrhaft glücklich, wie man es in der Welt ſeyn kann, daß heißt, auf kurze Zeit. Ein Sommer ging unter dieſen ſtillen Freuden hin. Narciß gab mir nicht die min¬ deſte Gelegenheit zu Beſchwerden; er ward mir immer lieber, meine ganze Seele hing an ihm, das wußte er wohl und wußte es

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre03_1795/251>, abgerufen am 21.05.2024.