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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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Sie mir einflößten, sich bey mir zur Sprache
und Form bestimmt, und durch diesen Au¬
genblick geheiligt wird: jeder flüchtigen Nei¬
gung will ich widerstehen, und selbst die
ernstlichsten in meinem Busen bewahren; kein
weibliches Geschöpf soll ein Bekenntniß der
Liebe von meinen Lippen vernehmen, dem ich
nicht mein ganzes Leben widmen kann.

Sie sah ihn mit einer wilden Gleichgül¬
tigkeit an, und entfernte sich, als er ihr die
Hand reichte, um einige Schritte. Es ist
nichts daran gelegen, rief sie, so viel Wei¬
berthränen mehr oder weniger, die See wird
darum doch nicht wachsen. Doch, fuhr sie
fort, unter Tausenden Eine gerettet, das ist
doch etwas, unter Tausenden Einen Redli¬
chen gefunden, das ist anzunehmen. Wissen
Sie auch was Sie versprechen?

Ich weiß es, versetzte Wilhelm lächelnd,
und hielt seine Hand hin.

Sie mir einflößten, ſich bey mir zur Sprache
und Form beſtimmt, und durch dieſen Au¬
genblick geheiligt wird: jeder flüchtigen Nei¬
gung will ich widerſtehen, und ſelbſt die
ernſtlichſten in meinem Buſen bewahren; kein
weibliches Geſchöpf ſoll ein Bekenntniß der
Liebe von meinen Lippen vernehmen, dem ich
nicht mein ganzes Leben widmen kann.

Sie ſah ihn mit einer wilden Gleichgül¬
tigkeit an, und entfernte ſich, als er ihr die
Hand reichte, um einige Schritte. Es iſt
nichts daran gelegen, rief ſie, ſo viel Wei¬
berthränen mehr oder weniger, die See wird
darum doch nicht wachſen. Doch, fuhr ſie
fort, unter Tauſenden Eine gerettet, das iſt
doch etwas, unter Tauſenden Einen Redli¬
chen gefunden, das iſt anzunehmen. Wiſſen
Sie auch was Sie verſprechen?

Ich weiß es, verſetzte Wilhelm lächelnd,
und hielt ſeine Hand hin.

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[372/0381] Sie mir einflößten, ſich bey mir zur Sprache und Form beſtimmt, und durch dieſen Au¬ genblick geheiligt wird: jeder flüchtigen Nei¬ gung will ich widerſtehen, und ſelbſt die ernſtlichſten in meinem Buſen bewahren; kein weibliches Geſchöpf ſoll ein Bekenntniß der Liebe von meinen Lippen vernehmen, dem ich nicht mein ganzes Leben widmen kann. Sie ſah ihn mit einer wilden Gleichgül¬ tigkeit an, und entfernte ſich, als er ihr die Hand reichte, um einige Schritte. Es iſt nichts daran gelegen, rief ſie, ſo viel Wei¬ berthränen mehr oder weniger, die See wird darum doch nicht wachſen. Doch, fuhr ſie fort, unter Tauſenden Eine gerettet, das iſt doch etwas, unter Tauſenden Einen Redli¬ chen gefunden, das iſt anzunehmen. Wiſſen Sie auch was Sie verſprechen? Ich weiß es, verſetzte Wilhelm lächelnd, und hielt ſeine Hand hin.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/381>, abgerufen am 25.11.2024.