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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

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geistlichen Mummereyen nur einen abge¬
schmackten Aberglauben noch mehr befestigten.

Der junge Serlo war auch hier wieder
ganz in seinem Elemente; eigentliche Erfin¬
dungskraft hatte er nicht, dagegen aber das
größte Geschick, was er vor sich fand zu
nutzen, zurecht zu stellen, und scheinbar zu
machen. Seine Einfälle, seine Nachahmungs¬
gabe, ja sein beissender Witz, den er wenig¬
stens einen Tag in der Woche völlig frey,
selbst gegen seine Wohlthäter, üben durfte,
machte ihn der ganzen Gesellschaft werth, ja
unentbehrlich.

Doch trieb ihn seine Unruhe bald aus
dieser vortheilhaften Lage in andere Gegen¬
den seines Vaterlandes, wo er wieder eine
neue Schule durchzugehen hatte. Er kam in
den gebildeten aber auch bildlosen Theil von
Deutschland, wo es zur Verehrung des Gu¬
ten und Schönen zwar nicht an Wahrheit

geiſtlichen Mummereyen nur einen abge¬
ſchmackten Aberglauben noch mehr befeſtigten.

Der junge Serlo war auch hier wieder
ganz in ſeinem Elemente; eigentliche Erfin¬
dungskraft hatte er nicht, dagegen aber das
größte Geſchick, was er vor ſich fand zu
nutzen, zurecht zu ſtellen, und ſcheinbar zu
machen. Seine Einfälle, ſeine Nachahmungs¬
gabe, ja ſein beiſſender Witz, den er wenig¬
ſtens einen Tag in der Woche völlig frey,
ſelbſt gegen ſeine Wohlthäter, üben durfte,
machte ihn der ganzen Geſellſchaft werth, ja
unentbehrlich.

Doch trieb ihn ſeine Unruhe bald aus
dieſer vortheilhaften Lage in andere Gegen¬
den ſeines Vaterlandes, wo er wieder eine
neue Schule durchzugehen hatte. Er kam in
den gebildeten aber auch bildloſen Theil von
Deutſchland, wo es zur Verehrung des Gu¬
ten und Schönen zwar nicht an Wahrheit

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[347/0356] geiſtlichen Mummereyen nur einen abge¬ ſchmackten Aberglauben noch mehr befeſtigten. Der junge Serlo war auch hier wieder ganz in ſeinem Elemente; eigentliche Erfin¬ dungskraft hatte er nicht, dagegen aber das größte Geſchick, was er vor ſich fand zu nutzen, zurecht zu ſtellen, und ſcheinbar zu machen. Seine Einfälle, ſeine Nachahmungs¬ gabe, ja ſein beiſſender Witz, den er wenig¬ ſtens einen Tag in der Woche völlig frey, ſelbſt gegen ſeine Wohlthäter, üben durfte, machte ihn der ganzen Geſellſchaft werth, ja unentbehrlich. Doch trieb ihn ſeine Unruhe bald aus dieſer vortheilhaften Lage in andere Gegen¬ den ſeines Vaterlandes, wo er wieder eine neue Schule durchzugehen hatte. Er kam in den gebildeten aber auch bildloſen Theil von Deutſchland, wo es zur Verehrung des Gu¬ ten und Schönen zwar nicht an Wahrheit

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/356>, abgerufen am 22.11.2024.