Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

man ihn auch nur für das was er war, an¬
statt daß er auf dem andern Wege durch
Hülfe des Selbstbetrugs oft im Hause zur
Herrschaft gelangt, und die Vernunft zur
heimlichen Knechtschaft zwingt, die sich ein¬
bildet, ihn lange verjagt zu haben. Die
Narrenmaske ging in der Gesellschaft herum,
und jedem war erlaubt, sie, an seinem Tage,
mit eigenen oder fremden Attributen, charak¬
teristisch auszuzieren. In der Karnavalszeit
nahm man sich die größte Freyheit, und
wetteiferte mit der Bemühung der Geistli¬
chen, das Volk zu unterhalten und anzuzie¬
hen. Die feyerlichen allegorischen Aufzüge
von Tugenden und Lastern, Künsten und
Wissenschaften, Welttheilen und Jahrszeiten
versinnlichten dem Volke eine Menge Be¬
griffe, und gaben ihm Ideen entfernter Ge¬
genstände, und so waren diese Scherze nicht
ohne Nutzen, da von einer andern Seite die

man ihn auch nur für das was er war, an¬
ſtatt daß er auf dem andern Wege durch
Hülfe des Selbſtbetrugs oft im Hauſe zur
Herrſchaft gelangt, und die Vernunft zur
heimlichen Knechtſchaft zwingt, die ſich ein¬
bildet, ihn lange verjagt zu haben. Die
Narrenmaſke ging in der Geſellſchaft herum,
und jedem war erlaubt, ſie, an ſeinem Tage,
mit eigenen oder fremden Attributen, charak¬
teriſtiſch auszuzieren. In der Karnavalszeit
nahm man ſich die größte Freyheit, und
wetteiferte mit der Bemühung der Geiſtli¬
chen, das Volk zu unterhalten und anzuzie¬
hen. Die feyerlichen allegoriſchen Aufzüge
von Tugenden und Laſtern, Künſten und
Wiſſenſchaften, Welttheilen und Jahrszeiten
verſinnlichten dem Volke eine Menge Be¬
griffe, und gaben ihm Ideen entfernter Ge¬
genſtände, und ſo waren dieſe Scherze nicht
ohne Nutzen, da von einer andern Seite die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0355" n="346"/>
man ihn auch nur für das was er war, an¬<lb/>
&#x017F;tatt daß er auf dem andern Wege durch<lb/>
Hülfe des Selb&#x017F;tbetrugs oft im Hau&#x017F;e zur<lb/>
Herr&#x017F;chaft gelangt, und die Vernunft zur<lb/>
heimlichen Knecht&#x017F;chaft zwingt, die &#x017F;ich ein¬<lb/>
bildet, ihn lange verjagt zu haben. Die<lb/>
Narrenma&#x017F;ke ging in der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft herum,<lb/>
und jedem war erlaubt, &#x017F;ie, an &#x017F;einem Tage,<lb/>
mit eigenen oder fremden Attributen, charak¬<lb/>
teri&#x017F;ti&#x017F;ch auszuzieren. In der Karnavalszeit<lb/>
nahm man &#x017F;ich die größte Freyheit, und<lb/>
wetteiferte mit der Bemühung der Gei&#x017F;tli¬<lb/>
chen, das Volk zu unterhalten und anzuzie¬<lb/>
hen. Die feyerlichen allegori&#x017F;chen Aufzüge<lb/>
von Tugenden und La&#x017F;tern, Kün&#x017F;ten und<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften, Welttheilen und Jahrszeiten<lb/>
ver&#x017F;innlichten dem Volke eine Menge Be¬<lb/>
griffe, und gaben ihm Ideen entfernter Ge¬<lb/>
gen&#x017F;tände, und &#x017F;o waren die&#x017F;e Scherze nicht<lb/>
ohne Nutzen, da von einer andern Seite die<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[346/0355] man ihn auch nur für das was er war, an¬ ſtatt daß er auf dem andern Wege durch Hülfe des Selbſtbetrugs oft im Hauſe zur Herrſchaft gelangt, und die Vernunft zur heimlichen Knechtſchaft zwingt, die ſich ein¬ bildet, ihn lange verjagt zu haben. Die Narrenmaſke ging in der Geſellſchaft herum, und jedem war erlaubt, ſie, an ſeinem Tage, mit eigenen oder fremden Attributen, charak¬ teriſtiſch auszuzieren. In der Karnavalszeit nahm man ſich die größte Freyheit, und wetteiferte mit der Bemühung der Geiſtli¬ chen, das Volk zu unterhalten und anzuzie¬ hen. Die feyerlichen allegoriſchen Aufzüge von Tugenden und Laſtern, Künſten und Wiſſenſchaften, Welttheilen und Jahrszeiten verſinnlichten dem Volke eine Menge Be¬ griffe, und gaben ihm Ideen entfernter Ge¬ genſtände, und ſo waren dieſe Scherze nicht ohne Nutzen, da von einer andern Seite die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/355
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/355>, abgerufen am 03.05.2024.