vorigen Buche als Philinens Liebling ken¬ nen, pflegte gewöhnlich Pedanten, Magister und Poeten zu spielen, und meistens die Rolle zu übernehmen, wenn jemand Schläge kriegen oder begossen werden sollte. Er hat¬ te sich gewisse kriechende, lächerliche, furchtsa¬ me Bücklinge angewöhnt, und seine stockende Sprache, die zu seinen Rollen paßte, machte die Zuschauer lachen, so daß er immer noch als ein brauchbares Glied der Gesellschaft angesehen wurde, besonders da er übrigens sehr dienstfertig und gefällig war. Er nahte sich auf seine Weise dem Grafen, neigte sich vor demselben, und beantwortete jede Frage auf die Art, wie er sich in seinen Rollen auf dem Theater zu gebährden pflegte. Der Graf sah ihn mit gefälliger Aufmerksamkeit und mit Überlegung eine Zeitlang an, als¬ dann rief er, indem er sich zu der Gräfin wendete: mein Kind, betrachte mir diesen
B 2
vorigen Buche als Philinens Liebling ken¬ nen, pflegte gewöhnlich Pedanten, Magiſter und Poeten zu ſpielen, und meiſtens die Rolle zu übernehmen, wenn jemand Schläge kriegen oder begoſſen werden ſollte. Er hat¬ te ſich gewiſſe kriechende, lächerliche, furchtſa¬ me Bücklinge angewöhnt, und ſeine ſtockende Sprache, die zu ſeinen Rollen paßte, machte die Zuſchauer lachen, ſo daß er immer noch als ein brauchbares Glied der Geſellſchaft angeſehen wurde, beſonders da er übrigens ſehr dienſtfertig und gefällig war. Er nahte ſich auf ſeine Weiſe dem Grafen, neigte ſich vor demſelben, und beantwortete jede Frage auf die Art, wie er ſich in ſeinen Rollen auf dem Theater zu gebährden pflegte. Der Graf ſah ihn mit gefälliger Aufmerkſamkeit und mit Überlegung eine Zeitlang an, als¬ dann rief er, indem er ſich zu der Gräfin wendete: mein Kind, betrachte mir dieſen
B 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0027"n="19"/>
vorigen Buche als Philinens Liebling ken¬<lb/>
nen, pflegte gewöhnlich Pedanten, Magiſter<lb/>
und Poeten zu ſpielen, und meiſtens die<lb/>
Rolle zu übernehmen, wenn jemand Schläge<lb/>
kriegen oder begoſſen werden ſollte. Er hat¬<lb/>
te ſich gewiſſe kriechende, lächerliche, furchtſa¬<lb/>
me Bücklinge angewöhnt, und ſeine ſtockende<lb/>
Sprache, die zu ſeinen Rollen paßte, machte<lb/>
die Zuſchauer lachen, ſo daß er immer noch<lb/>
als ein brauchbares Glied der Geſellſchaft<lb/>
angeſehen wurde, beſonders da er übrigens<lb/>ſehr dienſtfertig und gefällig war. Er nahte<lb/>ſich auf ſeine Weiſe dem Grafen, neigte ſich<lb/>
vor demſelben, und beantwortete jede Frage<lb/>
auf die Art, wie er ſich in ſeinen Rollen auf<lb/>
dem Theater zu gebährden pflegte. Der<lb/>
Graf ſah ihn mit gefälliger Aufmerkſamkeit<lb/>
und mit Überlegung eine Zeitlang an, als¬<lb/>
dann rief er, indem er ſich zu der Gräfin<lb/>
wendete: mein Kind, betrachte mir dieſen<lb/><fwplace="bottom"type="sig">B 2<lb/></fw></p></div></div></div></body></text></TEI>
[19/0027]
vorigen Buche als Philinens Liebling ken¬
nen, pflegte gewöhnlich Pedanten, Magiſter
und Poeten zu ſpielen, und meiſtens die
Rolle zu übernehmen, wenn jemand Schläge
kriegen oder begoſſen werden ſollte. Er hat¬
te ſich gewiſſe kriechende, lächerliche, furchtſa¬
me Bücklinge angewöhnt, und ſeine ſtockende
Sprache, die zu ſeinen Rollen paßte, machte
die Zuſchauer lachen, ſo daß er immer noch
als ein brauchbares Glied der Geſellſchaft
angeſehen wurde, beſonders da er übrigens
ſehr dienſtfertig und gefällig war. Er nahte
ſich auf ſeine Weiſe dem Grafen, neigte ſich
vor demſelben, und beantwortete jede Frage
auf die Art, wie er ſich in ſeinen Rollen auf
dem Theater zu gebährden pflegte. Der
Graf ſah ihn mit gefälliger Aufmerkſamkeit
und mit Überlegung eine Zeitlang an, als¬
dann rief er, indem er ſich zu der Gräfin
wendete: mein Kind, betrachte mir dieſen
B 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/27>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.