Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

schickter Mensch, ließ die Natur walten, und
so war der Patient bald auf dem Wege der
Besserung. Sehnlich wünschte dieser sich
wieder hergestellt zu sehen, um seine Plane,
seine Wünsche eifrig verfolgen zu können.

Unaufhörlich rief er sich jene Begebenheit
zurück, welche einen unauslöschlichen Ein¬
druck auf sein Gemüth gemacht hatte. Er
sah die schöne Amazone reitend aus den Bü¬
schen hervorkommen, sie näherte sich ihm,
stieg ab, ging hin und wieder, und bemühte
sich um seinetwillen. Er sah das umhüllende
Kleid von ihren Schultern fallen; ihr Ge¬
sicht, ihre Gestalt glänzend verschwinden.
Alle seine Jugendträume knüpften sich an
dieses Bild. Er glaubte nunmehr die edle
heldenmüthige Chlorinde mit eignen Augen
gesehen zu haben; ihm fiel der kranke Kö¬
nigssohn wieder ein, an dessen Lager die
schöne theilnehmende Prinzessin mit stiller
Bescheidenheit herantritt.

ſchickter Menſch, ließ die Natur walten, und
ſo war der Patient bald auf dem Wege der
Beſſerung. Sehnlich wünſchte dieſer ſich
wieder hergeſtellt zu ſehen, um ſeine Plane,
ſeine Wünſche eifrig verfolgen zu können.

Unaufhörlich rief er ſich jene Begebenheit
zurück, welche einen unauslöſchlichen Ein¬
druck auf ſein Gemüth gemacht hatte. Er
ſah die ſchöne Amazone reitend aus den Bü¬
ſchen hervorkommen, ſie näherte ſich ihm,
ſtieg ab, ging hin und wieder, und bemühte
ſich um ſeinetwillen. Er ſah das umhüllende
Kleid von ihren Schultern fallen; ihr Ge¬
ſicht, ihre Geſtalt glänzend verſchwinden.
Alle ſeine Jugendträume knüpften ſich an
dieſes Bild. Er glaubte nunmehr die edle
heldenmüthige Chlorinde mit eignen Augen
geſehen zu haben; ihm fiel der kranke Kö¬
nigsſohn wieder ein, an deſſen Lager die
ſchöne theilnehmende Prinzeſſin mit ſtiller
Beſcheidenheit herantritt.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0258" n="250"/>
&#x017F;chickter Men&#x017F;ch, ließ die Natur walten, und<lb/>
&#x017F;o war der Patient bald auf dem Wege der<lb/>
Be&#x017F;&#x017F;erung. Sehnlich wün&#x017F;chte die&#x017F;er &#x017F;ich<lb/>
wieder herge&#x017F;tellt zu &#x017F;ehen, um &#x017F;eine Plane,<lb/>
&#x017F;eine Wün&#x017F;che eifrig verfolgen zu können.</p><lb/>
            <p>Unaufhörlich rief er &#x017F;ich jene Begebenheit<lb/>
zurück, welche einen unauslö&#x017F;chlichen Ein¬<lb/>
druck auf &#x017F;ein Gemüth gemacht hatte. Er<lb/>
&#x017F;ah die &#x017F;chöne Amazone reitend aus den Bü¬<lb/>
&#x017F;chen hervorkommen, &#x017F;ie näherte &#x017F;ich ihm,<lb/>
&#x017F;tieg ab, ging hin und wieder, und bemühte<lb/>
&#x017F;ich um &#x017F;einetwillen. Er &#x017F;ah das umhüllende<lb/>
Kleid von ihren Schultern fallen; ihr Ge¬<lb/>
&#x017F;icht, ihre Ge&#x017F;talt glänzend ver&#x017F;chwinden.<lb/>
Alle &#x017F;eine Jugendträume knüpften &#x017F;ich an<lb/>
die&#x017F;es Bild. Er glaubte nunmehr die edle<lb/>
heldenmüthige Chlorinde mit eignen Augen<lb/>
ge&#x017F;ehen zu haben; ihm fiel der kranke Kö¬<lb/>
nigs&#x017F;ohn wieder ein, an de&#x017F;&#x017F;en Lager die<lb/>
&#x017F;chöne theilnehmende Prinze&#x017F;&#x017F;in mit &#x017F;tiller<lb/>
Be&#x017F;cheidenheit herantritt.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[250/0258] ſchickter Menſch, ließ die Natur walten, und ſo war der Patient bald auf dem Wege der Beſſerung. Sehnlich wünſchte dieſer ſich wieder hergeſtellt zu ſehen, um ſeine Plane, ſeine Wünſche eifrig verfolgen zu können. Unaufhörlich rief er ſich jene Begebenheit zurück, welche einen unauslöſchlichen Ein¬ druck auf ſein Gemüth gemacht hatte. Er ſah die ſchöne Amazone reitend aus den Bü¬ ſchen hervorkommen, ſie näherte ſich ihm, ſtieg ab, ging hin und wieder, und bemühte ſich um ſeinetwillen. Er ſah das umhüllende Kleid von ihren Schultern fallen; ihr Ge¬ ſicht, ihre Geſtalt glänzend verſchwinden. Alle ſeine Jugendträume knüpften ſich an dieſes Bild. Er glaubte nunmehr die edle heldenmüthige Chlorinde mit eignen Augen geſehen zu haben; ihm fiel der kranke Kö¬ nigsſohn wieder ein, an deſſen Lager die ſchöne theilnehmende Prinzeſſin mit ſtiller Beſcheidenheit herantritt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/258
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/258>, abgerufen am 22.11.2024.