nur ein, du abgestorbener Weltmann, daß du ein Freund seyn könnest! Alles, was du mir anbieten magst, ist der Empfindung nicht werth, die mich an diese Unglücklichen bindet. Welch ein Glück, daß ich noch bey Zeiten entdecke, was ich von dir zu erwarten hatte! --
Er schloß Mignon, die ihm eben entge¬ gen kam, in die Arme, und rief aus: nein, uns soll nichts trennen, du gutes kleines Ge¬ schöpf! Die scheinbare Klugheit der Welt soll mich nicht vermögen, dich zu verlassen, noch zu vergessen, was ich dir schuldig bin.
Das Kind, dessen heftige Liebkosungen er sonst abzulehnen pflegte, erfreute sich dieses unerwarteten Ausdruckes der Zärtlichkeit, und hing sich so fest an ihn, daß er es nur mit Mühe zuletzt los werden konnte.
Seit dieser Zeit gab er mehr auf Jarnos Handlungen acht, die ihm nicht alle lobens¬
nur ein, du abgeſtorbener Weltmann, daß du ein Freund ſeyn könneſt! Alles, was du mir anbieten magſt, iſt der Empfindung nicht werth, die mich an dieſe Unglücklichen bindet. Welch ein Glück, daß ich noch bey Zeiten entdecke, was ich von dir zu erwarten hatte! —
Er ſchloß Mignon, die ihm eben entge¬ gen kam, in die Arme, und rief aus: nein, uns ſoll nichts trennen, du gutes kleines Ge¬ ſchöpf! Die ſcheinbare Klugheit der Welt ſoll mich nicht vermögen, dich zu verlaſſen, noch zu vergeſſen, was ich dir ſchuldig bin.
Das Kind, deſſen heftige Liebkoſungen er ſonſt abzulehnen pflegte, erfreute ſich dieſes unerwarteten Ausdruckes der Zärtlichkeit, und hing ſich ſo feſt an ihn, daß er es nur mit Mühe zuletzt los werden konnte.
Seit dieſer Zeit gab er mehr auf Jarnos Handlungen acht, die ihm nicht alle lobens¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0147"n="139"/>
nur ein, du abgeſtorbener Weltmann, daß<lb/>
du ein Freund ſeyn könneſt! Alles, was du<lb/>
mir anbieten magſt, iſt der Empfindung nicht<lb/>
werth, die mich an dieſe Unglücklichen bindet.<lb/>
Welch ein Glück, daß ich noch bey Zeiten<lb/>
entdecke, was ich von dir zu erwarten<lb/>
hatte! —</p><lb/><p>Er ſchloß Mignon, die ihm eben entge¬<lb/>
gen kam, in die Arme, und rief aus: nein,<lb/>
uns ſoll nichts trennen, du gutes kleines Ge¬<lb/>ſchöpf! Die ſcheinbare Klugheit der Welt ſoll<lb/>
mich nicht vermögen, dich zu verlaſſen, noch<lb/>
zu vergeſſen, was ich dir ſchuldig bin.</p><lb/><p>Das Kind, deſſen heftige Liebkoſungen er<lb/>ſonſt abzulehnen pflegte, erfreute ſich dieſes<lb/>
unerwarteten Ausdruckes der Zärtlichkeit, und<lb/>
hing ſich ſo feſt an ihn, daß er es nur mit<lb/>
Mühe zuletzt los werden konnte.</p><lb/><p>Seit dieſer Zeit gab er mehr auf Jarnos<lb/>
Handlungen acht, die ihm nicht alle lobens¬<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[139/0147]
nur ein, du abgeſtorbener Weltmann, daß
du ein Freund ſeyn könneſt! Alles, was du
mir anbieten magſt, iſt der Empfindung nicht
werth, die mich an dieſe Unglücklichen bindet.
Welch ein Glück, daß ich noch bey Zeiten
entdecke, was ich von dir zu erwarten
hatte! —
Er ſchloß Mignon, die ihm eben entge¬
gen kam, in die Arme, und rief aus: nein,
uns ſoll nichts trennen, du gutes kleines Ge¬
ſchöpf! Die ſcheinbare Klugheit der Welt ſoll
mich nicht vermögen, dich zu verlaſſen, noch
zu vergeſſen, was ich dir ſchuldig bin.
Das Kind, deſſen heftige Liebkoſungen er
ſonſt abzulehnen pflegte, erfreute ſich dieſes
unerwarteten Ausdruckes der Zärtlichkeit, und
hing ſich ſo feſt an ihn, daß er es nur mit
Mühe zuletzt los werden konnte.
Seit dieſer Zeit gab er mehr auf Jarnos
Handlungen acht, die ihm nicht alle lobens¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/147>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.