ihm mit einer gewissen anständigen Freymü¬ thigkeit, in der sie sich bisher geübt hatte, und nöthigte ihn dadurch gleichfalls zur Höflichkeit.
Zuerst scherzte sie im Allgemeinen über das gute Glück, das ihn verfolge, und ihn auch, wie sie wohl merke, gegenwärtig hier¬ her gebracht habe, sodann warf sie ihm auf eine angenehme Art sein Betragen vor, wo¬ mit er sie bisher gequält habe, schalt und beschuldigte sich selbst, gestand, daß sie sonst wohl so seine Begegnung verdient, machte eine so aufrichtige Beschreibung ihres Zustan¬ des, den sie den vorigen nannte, und setzte hinzu: daß sie sich selbst verachten müsse, wenn sie nicht fähig wäre sich zu ändern, und sich seiner Freundschaft werth zu machen.
Wilhelm war über diese Rede betroffen. Er hatte zu wenig Kenntniß der Welt, um zu wissen, daß eben ganz leichtsinnige und
ihm mit einer gewiſſen anſtändigen Freymü¬ thigkeit, in der ſie ſich bisher geübt hatte, und nöthigte ihn dadurch gleichfalls zur Höflichkeit.
Zuerſt ſcherzte ſie im Allgemeinen über das gute Glück, das ihn verfolge, und ihn auch, wie ſie wohl merke, gegenwärtig hier¬ her gebracht habe, ſodann warf ſie ihm auf eine angenehme Art ſein Betragen vor, wo¬ mit er ſie bisher gequält habe, ſchalt und beſchuldigte ſich ſelbſt, geſtand, daß ſie ſonſt wohl ſo ſeine Begegnung verdient, machte eine ſo aufrichtige Beſchreibung ihres Zuſtan¬ des, den ſie den vorigen nannte, und ſetzte hinzu: daß ſie ſich ſelbſt verachten müſſe, wenn ſie nicht fähig wäre ſich zu ändern, und ſich ſeiner Freundſchaft werth zu machen.
Wilhelm war über dieſe Rede betroffen. Er hatte zu wenig Kenntniß der Welt, um zu wiſſen, daß eben ganz leichtſinnige und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0131"n="123"/>
ihm mit einer gewiſſen anſtändigen Freymü¬<lb/>
thigkeit, in der ſie ſich bisher geübt hatte,<lb/>
und nöthigte ihn dadurch gleichfalls zur<lb/>
Höflichkeit.</p><lb/><p>Zuerſt ſcherzte ſie im Allgemeinen über<lb/>
das gute Glück, das ihn verfolge, und ihn<lb/>
auch, wie ſie wohl merke, gegenwärtig hier¬<lb/>
her gebracht habe, ſodann warf ſie ihm auf<lb/>
eine angenehme Art ſein Betragen vor, wo¬<lb/>
mit er ſie bisher gequält habe, ſchalt und<lb/>
beſchuldigte ſich ſelbſt, geſtand, daß ſie ſonſt<lb/>
wohl ſo ſeine Begegnung verdient, machte<lb/>
eine ſo aufrichtige Beſchreibung ihres Zuſtan¬<lb/>
des, den ſie den vorigen nannte, und ſetzte<lb/>
hinzu: daß ſie ſich ſelbſt verachten müſſe,<lb/>
wenn ſie nicht fähig wäre ſich zu ändern,<lb/>
und ſich ſeiner Freundſchaft werth zu machen.</p><lb/><p>Wilhelm war über dieſe Rede betroffen.<lb/>
Er hatte zu wenig Kenntniß der Welt, um<lb/>
zu wiſſen, daß eben ganz leichtſinnige und<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[123/0131]
ihm mit einer gewiſſen anſtändigen Freymü¬
thigkeit, in der ſie ſich bisher geübt hatte,
und nöthigte ihn dadurch gleichfalls zur
Höflichkeit.
Zuerſt ſcherzte ſie im Allgemeinen über
das gute Glück, das ihn verfolge, und ihn
auch, wie ſie wohl merke, gegenwärtig hier¬
her gebracht habe, ſodann warf ſie ihm auf
eine angenehme Art ſein Betragen vor, wo¬
mit er ſie bisher gequält habe, ſchalt und
beſchuldigte ſich ſelbſt, geſtand, daß ſie ſonſt
wohl ſo ſeine Begegnung verdient, machte
eine ſo aufrichtige Beſchreibung ihres Zuſtan¬
des, den ſie den vorigen nannte, und ſetzte
hinzu: daß ſie ſich ſelbſt verachten müſſe,
wenn ſie nicht fähig wäre ſich zu ändern,
und ſich ſeiner Freundſchaft werth zu machen.
Wilhelm war über dieſe Rede betroffen.
Er hatte zu wenig Kenntniß der Welt, um
zu wiſſen, daß eben ganz leichtſinnige und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1795, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre02_1795/131>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.