nen Widerhalt. Je trauriger dieser Zustand war, desto heftiger schloß sich ihre Neigung an den Geliebten fest; ja die Leidenschaft wuchs mit jedem Tage, wie die Gefahr, ihn zu verlieren, mit jedem Tage näher rückte.
Dagegen schwebte Wilhelm glücklich in höheren Regionen, ihm war auch eine neue Welt aufgegangen, aber reich an herrlichen Aussichten. Kaum ließ das Uebermaaß der ersten Freude nach, so stellte sich das hell vor seine Seele, was ihn bisher dunkel durch¬ wühlt hatte. Sie ist dein! Sie hat sich dir hingegeben! Sie, das geliebte, gesuchte, an¬ gebetete Geschöpf, dir auf Treu und Glau¬ ben hingegeben; aber sie hat sich keinem Un¬ dankbaren überlassen. Wo er stand und ging, redete er mit sich selbst, sein Herz floß beständig über, und er sagte sich in einer Fülle von prächtigen Worten die erhabensten Gesinnungen vor. Er glaubte den hellen
nen Widerhalt. Je trauriger dieſer Zuſtand war, deſto heftiger ſchloß ſich ihre Neigung an den Geliebten feſt; ja die Leidenſchaft wuchs mit jedem Tage, wie die Gefahr, ihn zu verlieren, mit jedem Tage näher rückte.
Dagegen ſchwebte Wilhelm glücklich in höheren Regionen, ihm war auch eine neue Welt aufgegangen, aber reich an herrlichen Ausſichten. Kaum ließ das Uebermaaß der erſten Freude nach, ſo ſtellte ſich das hell vor ſeine Seele, was ihn bisher dunkel durch¬ wühlt hatte. Sie iſt dein! Sie hat ſich dir hingegeben! Sie, das geliebte, geſuchte, an¬ gebetete Geſchöpf, dir auf Treu und Glau¬ ben hingegeben; aber ſie hat ſich keinem Un¬ dankbaren überlaſſen. Wo er ſtand und ging, redete er mit ſich ſelbſt, ſein Herz floß beſtändig über, und er ſagte ſich in einer Fülle von prächtigen Worten die erhabenſten Geſinnungen vor. Er glaubte den hellen
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nen Widerhalt. Je trauriger dieſer Zuſtand
war, deſto heftiger ſchloß ſich ihre Neigung
an den Geliebten feſt; ja die Leidenſchaft
wuchs mit jedem Tage, wie die Gefahr, ihn
zu verlieren, mit jedem Tage näher rückte.
Dagegen ſchwebte Wilhelm glücklich in
höheren Regionen, ihm war auch eine neue
Welt aufgegangen, aber reich an herrlichen
Ausſichten. Kaum ließ das Uebermaaß der
erſten Freude nach, ſo ſtellte ſich das hell
vor ſeine Seele, was ihn bisher dunkel durch¬
wühlt hatte. Sie iſt dein! Sie hat ſich dir
hingegeben! Sie, das geliebte, geſuchte, an¬
gebetete Geſchöpf, dir auf Treu und Glau¬
ben hingegeben; aber ſie hat ſich keinem Un¬
dankbaren überlaſſen. Wo er ſtand und
ging, redete er mit ſich ſelbſt, ſein Herz floß
beſtändig über, und er ſagte ſich in einer
Fülle von prächtigen Worten die erhabenſten
Geſinnungen vor. Er glaubte den hellen
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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/82>, abgerufen am 24.11.2024.
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