Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

Herz wandte, kannst du leicht denken. Auch
war nichts vergessen, um meine Muse kennt¬
lich zu machen. Kronen und Dolche, Ketten
und Masken, wie sie mir meine Vorgänger
überliefert hatten, waren ihr auch hier zuge¬
theilt. Der Wettstreit war heftig, die Reden
beider Personen kontrastirten gehörig, da
man im vierzehnten Jahre gewöhnlich das
Schwarze und Weiße recht nah an einander
zu mahlen pflegt. Die Alte redete, wie es
einer Person geziemt, die eine Stecknadel
aufhebt, und jene, wie eine, die Königreiche
verschenkt. Die warnenden Drohungen der
Alten wurden verschmäht; ich sah die mir
versprochenen Reichthümer schon mit dem
Rücken an: enterbt und nackt übergab ich
mich der Muse, die mir ihren goldnen
Schleyer zuwarf und meine Blöße bedeckte. --

Hätte ich denken können, o meine Ge¬
liebte! rief er aus, indem er Marianen fest

Herz wandte, kannſt du leicht denken. Auch
war nichts vergeſſen, um meine Muſe kennt¬
lich zu machen. Kronen und Dolche, Ketten
und Masken, wie ſie mir meine Vorgänger
überliefert hatten, waren ihr auch hier zuge¬
theilt. Der Wettſtreit war heftig, die Reden
beider Perſonen kontraſtirten gehörig, da
man im vierzehnten Jahre gewöhnlich das
Schwarze und Weiße recht nah an einander
zu mahlen pflegt. Die Alte redete, wie es
einer Perſon geziemt, die eine Stecknadel
aufhebt, und jene, wie eine, die Königreiche
verſchenkt. Die warnenden Drohungen der
Alten wurden verſchmäht; ich ſah die mir
verſprochenen Reichthümer ſchon mit dem
Rücken an: enterbt und nackt übergab ich
mich der Muſe, die mir ihren goldnen
Schleyer zuwarf und meine Blöße bedeckte. —

Hätte ich denken können, o meine Ge¬
liebte! rief er aus, indem er Marianen feſt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0077" n="69"/>
Herz wandte, kann&#x017F;t du leicht denken. Auch<lb/>
war nichts verge&#x017F;&#x017F;en, um meine Mu&#x017F;e kennt¬<lb/>
lich zu machen. Kronen und Dolche, Ketten<lb/>
und Masken, wie &#x017F;ie mir meine Vorgänger<lb/>
überliefert hatten, waren ihr auch hier zuge¬<lb/>
theilt. Der Wett&#x017F;treit war heftig, die Reden<lb/>
beider Per&#x017F;onen kontra&#x017F;tirten gehörig, da<lb/>
man im vierzehnten Jahre gewöhnlich das<lb/>
Schwarze und Weiße recht nah an einander<lb/>
zu mahlen pflegt. Die Alte redete, wie es<lb/>
einer Per&#x017F;on geziemt, die eine Stecknadel<lb/>
aufhebt, und jene, wie eine, die Königreiche<lb/>
ver&#x017F;chenkt. Die warnenden Drohungen der<lb/>
Alten wurden ver&#x017F;chmäht; ich &#x017F;ah die mir<lb/>
ver&#x017F;prochenen Reichthümer &#x017F;chon mit dem<lb/>
Rücken an: enterbt und nackt übergab ich<lb/>
mich der Mu&#x017F;e, die mir ihren goldnen<lb/>
Schleyer zuwarf und meine Blöße bedeckte. &#x2014;</p><lb/>
            <p>Hätte ich denken können, o meine Ge¬<lb/>
liebte! rief er aus, indem er Marianen fe&#x017F;t<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[69/0077] Herz wandte, kannſt du leicht denken. Auch war nichts vergeſſen, um meine Muſe kennt¬ lich zu machen. Kronen und Dolche, Ketten und Masken, wie ſie mir meine Vorgänger überliefert hatten, waren ihr auch hier zuge¬ theilt. Der Wettſtreit war heftig, die Reden beider Perſonen kontraſtirten gehörig, da man im vierzehnten Jahre gewöhnlich das Schwarze und Weiße recht nah an einander zu mahlen pflegt. Die Alte redete, wie es einer Perſon geziemt, die eine Stecknadel aufhebt, und jene, wie eine, die Königreiche verſchenkt. Die warnenden Drohungen der Alten wurden verſchmäht; ich ſah die mir verſprochenen Reichthümer ſchon mit dem Rücken an: enterbt und nackt übergab ich mich der Muſe, die mir ihren goldnen Schleyer zuwarf und meine Blöße bedeckte. — Hätte ich denken können, o meine Ge¬ liebte! rief er aus, indem er Marianen feſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/77
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/77>, abgerufen am 09.05.2024.