ihm nieder. Er behielt ihre Hände, sie legte ihr Haupt auf seine Knie, und war ganz still. Er spielte mit ihren Haaren, und war freundlich. Sie blieb lange ruhig. Endlich fühlte er an ihr eine Art Zucken, das ganz sachte anfing, und sich durch alle Glieder wachsend verbreitete -- Was ist dir Mig¬ non? rief er aus, was ist dir? -- Sie rich¬ tete ihr Köpfchen auf, und sah ihn an, fuhr auf einmal nach dem Herzen, wie mit einer Gebährde, die Schmerzen verbeißt. Er hub sie auf, und sie fiel auf seinen Schoos, er druckte sie an sich, und küßte sie. Sie ant¬ wortete durch keinen Händedruck, durch keine Bewegung. Sie hielt ihr Herz fest, und auf einmal that sie einen Schrey, der mit krampfigen Bewegungen des Körpers beglei¬ tet war. Sie fuhr auf, und fiel auch so¬ gleich wie an allen Gelenken gebrochen vor ihm nieder. Es war ein gräßlicher An¬ blick! -- Mein Kind! rief er aus, indem er
ihm nieder. Er behielt ihre Hände, ſie legte ihr Haupt auf ſeine Knie, und war ganz ſtill. Er ſpielte mit ihren Haaren, und war freundlich. Sie blieb lange ruhig. Endlich fühlte er an ihr eine Art Zucken, das ganz ſachte anfing, und ſich durch alle Glieder wachſend verbreitete — Was iſt dir Mig¬ non? rief er aus, was iſt dir? — Sie rich¬ tete ihr Köpfchen auf, und ſah ihn an, fuhr auf einmal nach dem Herzen, wie mit einer Gebährde, die Schmerzen verbeißt. Er hub ſie auf, und ſie fiel auf ſeinen Schoos, er druckte ſie an ſich, und küßte ſie. Sie ant¬ wortete durch keinen Händedruck, durch keine Bewegung. Sie hielt ihr Herz feſt, und auf einmal that ſie einen Schrey, der mit krampfigen Bewegungen des Körpers beglei¬ tet war. Sie fuhr auf, und fiel auch ſo¬ gleich wie an allen Gelenken gebrochen vor ihm nieder. Es war ein gräßlicher An¬ blick! — Mein Kind! rief er aus, indem er
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0370"n="362"/>
ihm nieder. Er behielt ihre Hände, ſie legte<lb/>
ihr Haupt auf ſeine Knie, und war ganz<lb/>ſtill. Er ſpielte mit ihren Haaren, und war<lb/>
freundlich. Sie blieb lange ruhig. Endlich<lb/>
fühlte er an ihr eine Art Zucken, das ganz<lb/>ſachte anfing, und ſich durch alle Glieder<lb/>
wachſend verbreitete — Was iſt dir Mig¬<lb/>
non? rief er aus, was iſt dir? — Sie rich¬<lb/>
tete ihr Köpfchen auf, und ſah ihn an, fuhr<lb/>
auf einmal nach dem Herzen, wie mit einer<lb/>
Gebährde, die Schmerzen verbeißt. Er hub<lb/>ſie auf, und ſie fiel auf ſeinen Schoos, er<lb/>
druckte ſie an ſich, und küßte ſie. Sie ant¬<lb/>
wortete durch keinen Händedruck, durch keine<lb/>
Bewegung. Sie hielt ihr Herz feſt, und<lb/>
auf einmal that ſie einen Schrey, der mit<lb/>
krampfigen Bewegungen des Körpers beglei¬<lb/>
tet war. Sie fuhr auf, und fiel auch ſo¬<lb/>
gleich wie an allen Gelenken gebrochen vor<lb/>
ihm nieder. Es war ein gräßlicher An¬<lb/>
blick! — Mein Kind! rief er aus, indem er<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[362/0370]
ihm nieder. Er behielt ihre Hände, ſie legte
ihr Haupt auf ſeine Knie, und war ganz
ſtill. Er ſpielte mit ihren Haaren, und war
freundlich. Sie blieb lange ruhig. Endlich
fühlte er an ihr eine Art Zucken, das ganz
ſachte anfing, und ſich durch alle Glieder
wachſend verbreitete — Was iſt dir Mig¬
non? rief er aus, was iſt dir? — Sie rich¬
tete ihr Köpfchen auf, und ſah ihn an, fuhr
auf einmal nach dem Herzen, wie mit einer
Gebährde, die Schmerzen verbeißt. Er hub
ſie auf, und ſie fiel auf ſeinen Schoos, er
druckte ſie an ſich, und küßte ſie. Sie ant¬
wortete durch keinen Händedruck, durch keine
Bewegung. Sie hielt ihr Herz feſt, und
auf einmal that ſie einen Schrey, der mit
krampfigen Bewegungen des Körpers beglei¬
tet war. Sie fuhr auf, und fiel auch ſo¬
gleich wie an allen Gelenken gebrochen vor
ihm nieder. Es war ein gräßlicher An¬
blick! — Mein Kind! rief er aus, indem er
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/370>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.