Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

selbst der Reiche konnte seine Besitzthümer,
seine Abgötter nicht mit eigenen Augen so
kostbar sehen, als sie ihm vom Glanze des,
allen Werth fühlenden und erhöhenden Gei¬
stes beleuchtet erschienen. Ja, wer hat, wenn
du willst, Götter gebildet, uns zu ihnen er¬
hoben, sie zu uns herniedergebracht, als der
Dichter?

Mein Freund, versetzte Werner nach eini¬
gem Nachdenken, ich habe schon oft bedauert,
daß du das, was du so lebhaft fühlst, mit
Gewalt aus deiner Seele zu verbannen
strebst. Ich müßte mich sehr irren, wenn du
nicht besser thätest, dir selbst einigermaßen
nachzugeben, als dich durch die Widersprüche
eines so harten Entsagens aufzureiben, und
dir mit der Einen unschuldigen Freude den
Genuß aller übrigen zu entziehen.

Darf ich dir's gestehen, mein Freund, ver¬
setzte der andre, und wirst du mich nicht lä¬

ſelbſt der Reiche konnte ſeine Beſitzthümer,
ſeine Abgötter nicht mit eigenen Augen ſo
koſtbar ſehen, als ſie ihm vom Glanze des,
allen Werth fühlenden und erhöhenden Gei¬
ſtes beleuchtet erſchienen. Ja, wer hat, wenn
du willſt, Götter gebildet, uns zu ihnen er¬
hoben, ſie zu uns herniedergebracht, als der
Dichter?

Mein Freund, verſetzte Werner nach eini¬
gem Nachdenken, ich habe ſchon oft bedauert,
daß du das, was du ſo lebhaft fühlſt, mit
Gewalt aus deiner Seele zu verbannen
ſtrebſt. Ich müßte mich ſehr irren, wenn du
nicht beſſer thäteſt, dir ſelbſt einigermaßen
nachzugeben, als dich durch die Widerſprüche
eines ſo harten Entſagens aufzureiben, und
dir mit der Einen unſchuldigen Freude den
Genuß aller übrigen zu entziehen.

Darf ich dir’s geſtehen, mein Freund, ver¬
ſetzte der andre, und wirſt du mich nicht lä¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0215" n="207"/>
&#x017F;elb&#x017F;t der Reiche konnte &#x017F;eine Be&#x017F;itzthümer,<lb/>
&#x017F;eine Abgötter nicht mit eigenen Augen &#x017F;o<lb/>
ko&#x017F;tbar &#x017F;ehen, als &#x017F;ie ihm vom Glanze des,<lb/>
allen Werth fühlenden und erhöhenden Gei¬<lb/>
&#x017F;tes beleuchtet er&#x017F;chienen. Ja, wer hat, wenn<lb/>
du will&#x017F;t, Götter gebildet, uns zu ihnen er¬<lb/>
hoben, &#x017F;ie zu uns herniedergebracht, als der<lb/>
Dichter?</p><lb/>
            <p>Mein Freund, ver&#x017F;etzte Werner nach eini¬<lb/>
gem Nachdenken, ich habe &#x017F;chon oft bedauert,<lb/>
daß du das, was du &#x017F;o lebhaft fühl&#x017F;t, mit<lb/>
Gewalt aus deiner Seele zu verbannen<lb/>
&#x017F;treb&#x017F;t. Ich müßte mich &#x017F;ehr irren, wenn du<lb/>
nicht be&#x017F;&#x017F;er thäte&#x017F;t, dir &#x017F;elb&#x017F;t einigermaßen<lb/>
nachzugeben, als dich durch die Wider&#x017F;prüche<lb/>
eines &#x017F;o harten Ent&#x017F;agens aufzureiben, und<lb/>
dir mit der Einen un&#x017F;chuldigen Freude den<lb/>
Genuß aller übrigen zu entziehen.</p><lb/>
            <p>Darf ich dir&#x2019;s ge&#x017F;tehen, mein Freund, ver¬<lb/>
&#x017F;etzte der andre, und wir&#x017F;t du mich nicht lä¬<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[207/0215] ſelbſt der Reiche konnte ſeine Beſitzthümer, ſeine Abgötter nicht mit eigenen Augen ſo koſtbar ſehen, als ſie ihm vom Glanze des, allen Werth fühlenden und erhöhenden Gei¬ ſtes beleuchtet erſchienen. Ja, wer hat, wenn du willſt, Götter gebildet, uns zu ihnen er¬ hoben, ſie zu uns herniedergebracht, als der Dichter? Mein Freund, verſetzte Werner nach eini¬ gem Nachdenken, ich habe ſchon oft bedauert, daß du das, was du ſo lebhaft fühlſt, mit Gewalt aus deiner Seele zu verbannen ſtrebſt. Ich müßte mich ſehr irren, wenn du nicht beſſer thäteſt, dir ſelbſt einigermaßen nachzugeben, als dich durch die Widerſprüche eines ſo harten Entſagens aufzureiben, und dir mit der Einen unſchuldigen Freude den Genuß aller übrigen zu entziehen. Darf ich dir’s geſtehen, mein Freund, ver¬ ſetzte der andre, und wirſt du mich nicht lä¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/215
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/215>, abgerufen am 09.11.2024.