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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795.

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zutheilen, bezauberte von jeher die Welt,
und war für den Begabten ein reichliches
Erbtheil. An der Könige Höfen, an den
Tischen der Reichen, vor den Thüren der
Verliebten horchte man auf sie, indem sich
das Ohr und die Seele für alles andere ver¬
schloß; wie man sich selig preist und ent¬
zückt stille steht, wenn aus den Gebüschen,
durch die man wandelt, die Stimme der
Nachtigall gewaltig rührend hervordringt!
Sie fanden eine gastfreye Welt, und ihr nie¬
drig scheinender Stand erhöhte sie nur desto
mehr; der Held lauschte ihren Gesängen,
und der Überwinder der Welt huldigte einem
Dichter, weil er fühlte, daß, ohne diesen, sein
ungeheures Daseyn nur wie ein Sturmwind
vorüberfahren würde; der Liebende wünschte
sein Verlangen und seinen Genuß so tausend¬
fach und so harmonisch zu fühlen, als ihn
die beseelte Lippe zu schildern verstand, und

zutheilen, bezauberte von jeher die Welt,
und war für den Begabten ein reichliches
Erbtheil. An der Könige Höfen, an den
Tiſchen der Reichen, vor den Thüren der
Verliebten horchte man auf ſie, indem ſich
das Ohr und die Seele für alles andere ver¬
ſchloß; wie man ſich ſelig preiſt und ent¬
zückt ſtille ſteht, wenn aus den Gebüſchen,
durch die man wandelt, die Stimme der
Nachtigall gewaltig rührend hervordringt!
Sie fanden eine gaſtfreye Welt, und ihr nie¬
drig ſcheinender Stand erhöhte ſie nur deſto
mehr; der Held lauſchte ihren Geſängen,
und der Überwinder der Welt huldigte einem
Dichter, weil er fühlte, daß, ohne dieſen, ſein
ungeheures Daſeyn nur wie ein Sturmwind
vorüberfahren würde; der Liebende wünſchte
ſein Verlangen und ſeinen Genuß ſo tauſend¬
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[206/0214] zutheilen, bezauberte von jeher die Welt, und war für den Begabten ein reichliches Erbtheil. An der Könige Höfen, an den Tiſchen der Reichen, vor den Thüren der Verliebten horchte man auf ſie, indem ſich das Ohr und die Seele für alles andere ver¬ ſchloß; wie man ſich ſelig preiſt und ent¬ zückt ſtille ſteht, wenn aus den Gebüſchen, durch die man wandelt, die Stimme der Nachtigall gewaltig rührend hervordringt! Sie fanden eine gaſtfreye Welt, und ihr nie¬ drig ſcheinender Stand erhöhte ſie nur deſto mehr; der Held lauſchte ihren Geſängen, und der Überwinder der Welt huldigte einem Dichter, weil er fühlte, daß, ohne dieſen, ſein ungeheures Daſeyn nur wie ein Sturmwind vorüberfahren würde; der Liebende wünſchte ſein Verlangen und ſeinen Genuß ſo tauſend¬ fach und ſo harmoniſch zu fühlen, als ihn die beſeelte Lippe zu ſchildern verſtand, und

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/214>, abgerufen am 22.11.2024.