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Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795.

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sten Ausputzer summten ihm schon um den
Kopf, und die geläufige Rede des Mädchens
hatte ihm den Entwurf des Protokolls gänz¬
lich zerrüttet. Das Übel wurde noch größer,
als sie bey wiederholten ordentlichen Fragen
sich nicht weiter einlassen wollte, sondern sich
auf das, was sie eben gesagt, standhaft berief.

Ich bin keine Verbrecherin, sagte sie.
Man hat mich auf Strohbündeln zur Schan¬
de hierher geführt; es ist eine höhere Gerech¬
tigkeit, die uns wieder zu Ehren bringen soll.

Der Aktuarius hatte indessen immer ihre
Worte nachgeschrieben, und flüsterte dem
Amtmanne zu: er solle nur weiter gehen,
ein förmliches Protokoll würde sich nachher
schon verfassen lassen.

Der Alte nahm wieder Muth, und fing
nun an, nach den süßen Geheimnissen der
Liebe mit dürren Worten und in hergebrach¬
ten trockenen Formeln sich zu erkundigen.

ſten Ausputzer ſummten ihm ſchon um den
Kopf, und die geläufige Rede des Mädchens
hatte ihm den Entwurf des Protokolls gänz¬
lich zerrüttet. Das Übel wurde noch größer,
als ſie bey wiederholten ordentlichen Fragen
ſich nicht weiter einlaſſen wollte, ſondern ſich
auf das, was ſie eben geſagt, ſtandhaft berief.

Ich bin keine Verbrecherin, ſagte ſie.
Man hat mich auf Strohbündeln zur Schan¬
de hierher geführt; es iſt eine höhere Gerech¬
tigkeit, die uns wieder zu Ehren bringen ſoll.

Der Aktuarius hatte indeſſen immer ihre
Worte nachgeſchrieben, und flüſterte dem
Amtmanne zu: er ſolle nur weiter gehen,
ein förmliches Protokoll würde ſich nachher
ſchon verfaſſen laſſen.

Der Alte nahm wieder Muth, und fing
nun an, nach den ſüßen Geheimniſſen der
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ten trockenen Formeln ſich zu erkundigen.

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[116/0124] ſten Ausputzer ſummten ihm ſchon um den Kopf, und die geläufige Rede des Mädchens hatte ihm den Entwurf des Protokolls gänz¬ lich zerrüttet. Das Übel wurde noch größer, als ſie bey wiederholten ordentlichen Fragen ſich nicht weiter einlaſſen wollte, ſondern ſich auf das, was ſie eben geſagt, ſtandhaft berief. Ich bin keine Verbrecherin, ſagte ſie. Man hat mich auf Strohbündeln zur Schan¬ de hierher geführt; es iſt eine höhere Gerech¬ tigkeit, die uns wieder zu Ehren bringen ſoll. Der Aktuarius hatte indeſſen immer ihre Worte nachgeſchrieben, und flüſterte dem Amtmanne zu: er ſolle nur weiter gehen, ein förmliches Protokoll würde ſich nachher ſchon verfaſſen laſſen. Der Alte nahm wieder Muth, und fing nun an, nach den ſüßen Geheimniſſen der Liebe mit dürren Worten und in hergebrach¬ ten trockenen Formeln ſich zu erkundigen.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Bd. 1. Berlin, 1795, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_lehrjahre01_1795/124>, abgerufen am 24.11.2024.