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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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schehen. Allein weil sich die Gelahrtheit über¬
haupt nicht wohl ohne Polyhistorie und Pe¬
danterie, die Praxis aber wohl schwerlich oh¬
ne Empirie und Charlatanerie denken läßt; so
entstand ein gewaltiger Conflict, indem man
den Mißbrauch vom Gebrauch sondern und
der Kern die Oberhand über die Schale ge¬
winnen sollte. Wie man nun auch hier zur
Ausübung schritt, so sah man, am kürzesten
sey zuletzt aus der Sache zu kommen, wenn
man das Genie zu Hülfe riefe, das durch
seine magische Gabe den Streit schlichten und
die Forderungen leisten würde. Der Verstand
mischte sich indessen auch in die Sache, alles
sollte auf klare Begriffe gebracht und in lo¬
gischer Form dargelegt werden, damit jedes
Vorurtheil beseitigt und aller Aberglaube zer¬
stört werde. Weil nun wirklich einige außeror¬
dentliche Menschen, wie Boerhaave und Hal¬
ler, das Unglaubliche geleistet, so schien man
sich berechtigt, von ihren Schülern und Nach¬

ſchehen. Allein weil ſich die Gelahrtheit uͤber¬
haupt nicht wohl ohne Polyhiſtorie und Pe¬
danterie, die Praxis aber wohl ſchwerlich oh¬
ne Empirie und Charlatanerie denken laͤßt; ſo
entſtand ein gewaltiger Conflict, indem man
den Mißbrauch vom Gebrauch ſondern und
der Kern die Oberhand uͤber die Schale ge¬
winnen ſollte. Wie man nun auch hier zur
Ausuͤbung ſchritt, ſo ſah man, am kuͤrzeſten
ſey zuletzt aus der Sache zu kommen, wenn
man das Genie zu Huͤlfe riefe, das durch
ſeine magiſche Gabe den Streit ſchlichten und
die Forderungen leiſten wuͤrde. Der Verſtand
miſchte ſich indeſſen auch in die Sache, alles
ſollte auf klare Begriffe gebracht und in lo¬
giſcher Form dargelegt werden, damit jedes
Vorurtheil beſeitigt und aller Aberglaube zer¬
ſtoͤrt werde. Weil nun wirklich einige außeror¬
dentliche Menſchen, wie Boerhaave und Hal¬
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[520/0528] ſchehen. Allein weil ſich die Gelahrtheit uͤber¬ haupt nicht wohl ohne Polyhiſtorie und Pe¬ danterie, die Praxis aber wohl ſchwerlich oh¬ ne Empirie und Charlatanerie denken laͤßt; ſo entſtand ein gewaltiger Conflict, indem man den Mißbrauch vom Gebrauch ſondern und der Kern die Oberhand uͤber die Schale ge¬ winnen ſollte. Wie man nun auch hier zur Ausuͤbung ſchritt, ſo ſah man, am kuͤrzeſten ſey zuletzt aus der Sache zu kommen, wenn man das Genie zu Huͤlfe riefe, das durch ſeine magiſche Gabe den Streit ſchlichten und die Forderungen leiſten wuͤrde. Der Verſtand miſchte ſich indeſſen auch in die Sache, alles ſollte auf klare Begriffe gebracht und in lo¬ giſcher Form dargelegt werden, damit jedes Vorurtheil beſeitigt und aller Aberglaube zer¬ ſtoͤrt werde. Weil nun wirklich einige außeror¬ dentliche Menſchen, wie Boerhaave und Hal¬ ler, das Unglaubliche geleiſtet, ſo ſchien man ſich berechtigt, von ihren Schuͤlern und Nach¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 520. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/528>, abgerufen am 10.05.2024.