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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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kömmlingen noch mehr zu fordern. Man be¬
hauptete, die Bahn sey gebrochen, da doch in
allen irdischen Dingen selten von Bahn die
Rede seyn kann: denn wie das Wasser das
durch ein Schiff verdrängt wird, gleich hin¬
ter ihm wieder zusammenstürzt, so schließt
sich auch der Irrthum, wenn vorzügliche Gei¬
ster ihn bey Seite gedrängt und sich Platz ge¬
macht haben, hinter ihnen sehr geschwind wie¬
der naturgemäß zusammen.

Aber hievon wollte sich der brave Zim¬
mermann ein für allemal keinen Begriff ma¬
chen; er wollte nicht eingestehen, daß das
Absurde eigentlich die Welt erfülle. Bis zur
Wuth ungeduldig schlug er auf alles los, was
er für unrecht erkannte und hielt. Ob er sich
mit dem Krankenwärter oder mit Paracelsus,
mit einem Harnpropheten oder Chymisten balg¬
te, war ihm gleich; er hieb ein wie das
andre Mal zu, und wenn er sich außer Athem

koͤmmlingen noch mehr zu fordern. Man be¬
hauptete, die Bahn ſey gebrochen, da doch in
allen irdiſchen Dingen ſelten von Bahn die
Rede ſeyn kann: denn wie das Waſſer das
durch ein Schiff verdraͤngt wird, gleich hin¬
ter ihm wieder zuſammenſtuͤrzt, ſo ſchließt
ſich auch der Irrthum, wenn vorzuͤgliche Gei¬
ſter ihn bey Seite gedraͤngt und ſich Platz ge¬
macht haben, hinter ihnen ſehr geſchwind wie¬
der naturgemaͤß zuſammen.

Aber hievon wollte ſich der brave Zim¬
mermann ein fuͤr allemal keinen Begriff ma¬
chen; er wollte nicht eingeſtehen, daß das
Abſurde eigentlich die Welt erfuͤlle. Bis zur
Wuth ungeduldig ſchlug er auf alles los, was
er fuͤr unrecht erkannte und hielt. Ob er ſich
mit dem Krankenwaͤrter oder mit Paracelſus,
mit einem Harnpropheten oder Chymiſten balg¬
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[521/0529] koͤmmlingen noch mehr zu fordern. Man be¬ hauptete, die Bahn ſey gebrochen, da doch in allen irdiſchen Dingen ſelten von Bahn die Rede ſeyn kann: denn wie das Waſſer das durch ein Schiff verdraͤngt wird, gleich hin¬ ter ihm wieder zuſammenſtuͤrzt, ſo ſchließt ſich auch der Irrthum, wenn vorzuͤgliche Gei¬ ſter ihn bey Seite gedraͤngt und ſich Platz ge¬ macht haben, hinter ihnen ſehr geſchwind wie¬ der naturgemaͤß zuſammen. Aber hievon wollte ſich der brave Zim¬ mermann ein fuͤr allemal keinen Begriff ma¬ chen; er wollte nicht eingeſtehen, daß das Abſurde eigentlich die Welt erfuͤlle. Bis zur Wuth ungeduldig ſchlug er auf alles los, was er fuͤr unrecht erkannte und hielt. Ob er ſich mit dem Krankenwaͤrter oder mit Paracelſus, mit einem Harnpropheten oder Chymiſten balg¬ te, war ihm gleich; er hieb ein wie das andre Mal zu, und wenn er ſich außer Athem

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 521. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/529>, abgerufen am 25.11.2024.