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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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Zustand zu einer wahren Hölle. Meine Mut¬
ter war sehr bewegt, als sie mir diesen leiden¬
schaftlichen Erguß hinterbrachte, ja sie ging
in ihrem Mitleiden so weit, daß sie nicht un¬
deutlich zu verstehen gab, sie würde es wohl
zufrieden seyn das Kind im Hause zu behal¬
ten, wenn ich mich entschließen könnte, sie
zu heiraten. -- Wenn es eine Waise wäre,
versetzt' ich, so ließe sich darüber denken und
unterhandeln, aber Gott bewahre mich vor
einem Schwiegervater, der ein solcher Vater
ist! Meine Mutter gab sich noch viel Mühe
mit dem guten Kinde, aber es ward dadurch
nur immer unglücklicher. Man fand zuletzt
noch einen Ausweg, sie in eine Pension zu
thun. Sie hat übrigens ihr Leben nicht hoch
gebracht.

Dieser tadelnswürdigen Eigenheit eines so
verdienstvollen Mannes würde ich kaum er¬
wähnen, wenn dieselbe nicht schon öffentlich

Zuſtand zu einer wahren Hoͤlle. Meine Mut¬
ter war ſehr bewegt, als ſie mir dieſen leiden¬
ſchaftlichen Erguß hinterbrachte, ja ſie ging
in ihrem Mitleiden ſo weit, daß ſie nicht un¬
deutlich zu verſtehen gab, ſie wuͤrde es wohl
zufrieden ſeyn das Kind im Hauſe zu behal¬
ten, wenn ich mich entſchließen koͤnnte, ſie
zu heiraten. — Wenn es eine Waiſe waͤre,
verſetzt' ich, ſo ließe ſich daruͤber denken und
unterhandeln, aber Gott bewahre mich vor
einem Schwiegervater, der ein ſolcher Vater
iſt! Meine Mutter gab ſich noch viel Muͤhe
mit dem guten Kinde, aber es ward dadurch
nur immer ungluͤcklicher. Man fand zuletzt
noch einen Ausweg, ſie in eine Penſion zu
thun. Sie hat uͤbrigens ihr Leben nicht hoch
gebracht.

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[516/0524] Zuſtand zu einer wahren Hoͤlle. Meine Mut¬ ter war ſehr bewegt, als ſie mir dieſen leiden¬ ſchaftlichen Erguß hinterbrachte, ja ſie ging in ihrem Mitleiden ſo weit, daß ſie nicht un¬ deutlich zu verſtehen gab, ſie wuͤrde es wohl zufrieden ſeyn das Kind im Hauſe zu behal¬ ten, wenn ich mich entſchließen koͤnnte, ſie zu heiraten. — Wenn es eine Waiſe waͤre, verſetzt' ich, ſo ließe ſich daruͤber denken und unterhandeln, aber Gott bewahre mich vor einem Schwiegervater, der ein ſolcher Vater iſt! Meine Mutter gab ſich noch viel Muͤhe mit dem guten Kinde, aber es ward dadurch nur immer ungluͤcklicher. Man fand zuletzt noch einen Ausweg, ſie in eine Penſion zu thun. Sie hat uͤbrigens ihr Leben nicht hoch gebracht. Dieſer tadelnswuͤrdigen Eigenheit eines ſo verdienſtvollen Mannes wuͤrde ich kaum er¬ waͤhnen, wenn dieſelbe nicht ſchon oͤffentlich

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 516. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/524>, abgerufen am 10.05.2024.