wäre zur Sprache gekommen, und zwar als man nach seinem Tode der unseligen Hypo¬ chondrie gedachte, womit er sich und Andere in seinen letzten Stunden gequält. Denn auch jene Härte gegen seine Kinder war Hy¬ pochondrie, ein partieller Wahnsinn, ein fort¬ dauerndes moralisches Morden, das er, nach¬ dem er seine Kinder aufgeopfert hatte, zuletzt gegen sich selbst kehrte. Wir wollen aber be¬ denken, daß dieser so rüstig scheinende Mann in seinen besten Jahren leidend war, daß ein Leibesschaden unheilbar den geschickten Arzt quälte, ihn der so manchem Kranken gehol¬ fen hatte und half. Ja dieser brave Mann führte bey äußerem Ansehen, Ruhm, Ehre, Rang und Vermögen, das traurigste Leben, und wer sich davon, aus vorhandenen Druck¬ schriften, noch weiter unterrichten will, der wird ihn nicht verdammen, sondern be¬ dauern.
waͤre zur Sprache gekommen, und zwar als man nach ſeinem Tode der unſeligen Hypo¬ chondrie gedachte, womit er ſich und Andere in ſeinen letzten Stunden gequaͤlt. Denn auch jene Haͤrte gegen ſeine Kinder war Hy¬ pochondrie, ein partieller Wahnſinn, ein fort¬ dauerndes moraliſches Morden, das er, nach¬ dem er ſeine Kinder aufgeopfert hatte, zuletzt gegen ſich ſelbſt kehrte. Wir wollen aber be¬ denken, daß dieſer ſo ruͤſtig ſcheinende Mann in ſeinen beſten Jahren leidend war, daß ein Leibesſchaden unheilbar den geſchickten Arzt quaͤlte, ihn der ſo manchem Kranken gehol¬ fen hatte und half. Ja dieſer brave Mann fuͤhrte bey aͤußerem Anſehen, Ruhm, Ehre, Rang und Vermoͤgen, das traurigſte Leben, und wer ſich davon, aus vorhandenen Druck¬ ſchriften, noch weiter unterrichten will, der wird ihn nicht verdammen, ſondern be¬ dauern.
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waͤre zur Sprache gekommen, und zwar als
man nach ſeinem Tode der unſeligen Hypo¬
chondrie gedachte, womit er ſich und Andere
in ſeinen letzten Stunden gequaͤlt. Denn
auch jene Haͤrte gegen ſeine Kinder war Hy¬
pochondrie, ein partieller Wahnſinn, ein fort¬
dauerndes moraliſches Morden, das er, nach¬
dem er ſeine Kinder aufgeopfert hatte, zuletzt
gegen ſich ſelbſt kehrte. Wir wollen aber be¬
denken, daß dieſer ſo ruͤſtig ſcheinende Mann
in ſeinen beſten Jahren leidend war, daß ein
Leibesſchaden unheilbar den geſchickten Arzt
quaͤlte, ihn der ſo manchem Kranken gehol¬
fen hatte und half. Ja dieſer brave Mann
fuͤhrte bey aͤußerem Anſehen, Ruhm, Ehre,
Rang und Vermoͤgen, das traurigſte Leben,
und wer ſich davon, aus vorhandenen Druck¬
ſchriften, noch weiter unterrichten will, der
wird ihn nicht verdammen, ſondern be¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 517. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/525>, abgerufen am 26.11.2024.
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