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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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schätzt, so schätzt er es doch unbedingt, und
jede Aufnahme die wir in der Welt erfahren,
wird bedingt seyn; und sodann gehört ja für
Lob und Beyfall auch eine Empfänglichkeit,
wie für jedes Vergnügen. Man wende die¬
ses auf Zimmermann an, und man wird auch
hier gestehen müssen: was einer nicht schon
mitbringt, kann er nicht erhalten.

Will man diese Entschuldigung nicht gel¬
ten lassen, so werden wir diesen merkwürdi¬
gen Mann wegen eines andern Fehlers noch
weniger rechtfertigen können, weil das Glück
anderer dadurch gestört, ja vernichtet worden.
Es war das Betragen gegen seine Kinder.
Eine Tochter die mit ihm reiste, war, als
er sich in der Nachbarschaft umsah, bey uns
geblieben. Sie konnte etwa sechszehn Jahr
alt seyn. Schlank und wohlgewachsen, trat
sie auf ohne Zierlichkeit; ihr regelmäßiges Ge¬
sicht wäre angenehm gewesen, wenn sich ein

ſchaͤtzt, ſo ſchaͤtzt er es doch unbedingt, und
jede Aufnahme die wir in der Welt erfahren,
wird bedingt ſeyn; und ſodann gehoͤrt ja fuͤr
Lob und Beyfall auch eine Empfaͤnglichkeit,
wie fuͤr jedes Vergnuͤgen. Man wende die¬
ſes auf Zimmermann an, und man wird auch
hier geſtehen muͤſſen: was einer nicht ſchon
mitbringt, kann er nicht erhalten.

Will man dieſe Entſchuldigung nicht gel¬
ten laſſen, ſo werden wir dieſen merkwuͤrdi¬
gen Mann wegen eines andern Fehlers noch
weniger rechtfertigen koͤnnen, weil das Gluͤck
anderer dadurch geſtoͤrt, ja vernichtet worden.
Es war das Betragen gegen ſeine Kinder.
Eine Tochter die mit ihm reiſte, war, als
er ſich in der Nachbarſchaft umſah, bey uns
geblieben. Sie konnte etwa ſechszehn Jahr
alt ſeyn. Schlank und wohlgewachſen, trat
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[514/0522] ſchaͤtzt, ſo ſchaͤtzt er es doch unbedingt, und jede Aufnahme die wir in der Welt erfahren, wird bedingt ſeyn; und ſodann gehoͤrt ja fuͤr Lob und Beyfall auch eine Empfaͤnglichkeit, wie fuͤr jedes Vergnuͤgen. Man wende die¬ ſes auf Zimmermann an, und man wird auch hier geſtehen muͤſſen: was einer nicht ſchon mitbringt, kann er nicht erhalten. Will man dieſe Entſchuldigung nicht gel¬ ten laſſen, ſo werden wir dieſen merkwuͤrdi¬ gen Mann wegen eines andern Fehlers noch weniger rechtfertigen koͤnnen, weil das Gluͤck anderer dadurch geſtoͤrt, ja vernichtet worden. Es war das Betragen gegen ſeine Kinder. Eine Tochter die mit ihm reiſte, war, als er ſich in der Nachbarſchaft umſah, bey uns geblieben. Sie konnte etwa ſechszehn Jahr alt ſeyn. Schlank und wohlgewachſen, trat ſie auf ohne Zierlichkeit; ihr regelmaͤßiges Ge¬ ſicht waͤre angenehm geweſen, wenn ſich ein

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 514. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/522>, abgerufen am 10.05.2024.