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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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ten Geschöpfe zu beleben, hatte der außeror¬
dentliche Mann sein ganzes Talent erschöpft,
und in Darstellung des mannigfaltigsten thie¬
rischen Ueberkleides, der Borsten, der Haare,
der Federn, des Geweihes, der Klauen, sich
der Natur gleichgestellt, in Absicht auf Wir¬
kung sie übertroffen. Hatte man die Kunst¬
werke im Ganzen genugsam bewundert, so
ward man genöthigt, über die Handgriffe
nachzudenken, wodurch solche Bilder so geist¬
reich als mechanisch hervorgebracht werden
konnten. Man begriff nicht, wie sie durch
Menschenhände entstanden seyen und durch
was für Instrumente. Der Pinsel war nicht
hinreichend; man mußte ganz eigne Vorrich¬
tungen annehmen, durch welche ein so Man¬
nigfaltiges möglich geworden. Man näherte,
man entfernte sich mit gleichem Erstaunen:
die Ursache war so bewundernswerth als die
Wirkung.

ten Geſchoͤpfe zu beleben, hatte der außeror¬
dentliche Mann ſein ganzes Talent erſchoͤpft,
und in Darſtellung des mannigfaltigſten thie¬
riſchen Ueberkleides, der Borſten, der Haare,
der Federn, des Geweihes, der Klauen, ſich
der Natur gleichgeſtellt, in Abſicht auf Wir¬
kung ſie uͤbertroffen. Hatte man die Kunſt¬
werke im Ganzen genugſam bewundert, ſo
ward man genoͤthigt, uͤber die Handgriffe
nachzudenken, wodurch ſolche Bilder ſo geiſt¬
reich als mechaniſch hervorgebracht werden
konnten. Man begriff nicht, wie ſie durch
Menſchenhaͤnde entſtanden ſeyen und durch
was fuͤr Inſtrumente. Der Pinſel war nicht
hinreichend; man mußte ganz eigne Vorrich¬
tungen annehmen, durch welche ein ſo Man¬
nigfaltiges moͤglich geworden. Man naͤherte,
man entfernte ſich mit gleichem Erſtaunen:
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[445/0453] ten Geſchoͤpfe zu beleben, hatte der außeror¬ dentliche Mann ſein ganzes Talent erſchoͤpft, und in Darſtellung des mannigfaltigſten thie¬ riſchen Ueberkleides, der Borſten, der Haare, der Federn, des Geweihes, der Klauen, ſich der Natur gleichgeſtellt, in Abſicht auf Wir¬ kung ſie uͤbertroffen. Hatte man die Kunſt¬ werke im Ganzen genugſam bewundert, ſo ward man genoͤthigt, uͤber die Handgriffe nachzudenken, wodurch ſolche Bilder ſo geiſt¬ reich als mechaniſch hervorgebracht werden konnten. Man begriff nicht, wie ſie durch Menſchenhaͤnde entſtanden ſeyen und durch was fuͤr Inſtrumente. Der Pinſel war nicht hinreichend; man mußte ganz eigne Vorrich¬ tungen annehmen, durch welche ein ſo Man¬ nigfaltiges moͤglich geworden. Man naͤherte, man entfernte ſich mit gleichem Erſtaunen: die Urſache war ſo bewundernswerth als die Wirkung.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/453>, abgerufen am 10.05.2024.