ßen. Er wußte von seinem Vorhaben groß und überzeugend zu sprechen, und Jederman gab ihm gern zu was er behauptete. Aber auf die unbegreiflichste Weise verletzte er die Gemüther der Menschen, denen er eine Bey¬ steuer abgewinnen wollte, ja er beleidigte sie ohne Noth, indem er seine Meynungen und Grillen über religiöse Gegenstände nicht zu¬ rückhalten konnte. Auch hierin erschien Ba¬ sedow als das Gegenstück von Lavatern. Wenn dieser die Bibel buchstäblich und mit ihrem ganzen Inhalte, ja Wort vor Wort, bis auf den heutigen Tag für geltend an¬ nahm und für anwendbar hielt, so fühlte jener den unruhigsten Kitzel alles zu verneuen, und sowohl die Glaubenslehren als die äu¬ ßerlichen kirchlichen Handlungen nach eignen einmal gefaßten Grillen umzumodeln. Am unbarmherzigsten jedoch, und am unvorsich¬ tigsten verfuhr er mit denjenigen Vorstellun¬ gen, die sich nicht unmittelbar aus der Bibel, sondern von ihrer Auslegung herschreiben,
ßen. Er wußte von ſeinem Vorhaben groß und uͤberzeugend zu ſprechen, und Jederman gab ihm gern zu was er behauptete. Aber auf die unbegreiflichſte Weiſe verletzte er die Gemuͤther der Menſchen, denen er eine Bey¬ ſteuer abgewinnen wollte, ja er beleidigte ſie ohne Noth, indem er ſeine Meynungen und Grillen uͤber religioͤſe Gegenſtaͤnde nicht zu¬ ruͤckhalten konnte. Auch hierin erſchien Ba¬ ſedow als das Gegenſtuͤck von Lavatern. Wenn dieſer die Bibel buchſtaͤblich und mit ihrem ganzen Inhalte, ja Wort vor Wort, bis auf den heutigen Tag fuͤr geltend an¬ nahm und fuͤr anwendbar hielt, ſo fuͤhlte jener den unruhigſten Kitzel alles zu verneuen, und ſowohl die Glaubenslehren als die aͤu¬ ßerlichen kirchlichen Handlungen nach eignen einmal gefaßten Grillen umzumodeln. Am unbarmherzigſten jedoch, und am unvorſich¬ tigſten verfuhr er mit denjenigen Vorſtellun¬ gen, die ſich nicht unmittelbar aus der Bibel, ſondern von ihrer Auslegung herſchreiben,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0426"n="418"/>
ßen. Er wußte von ſeinem Vorhaben groß<lb/>
und uͤberzeugend zu ſprechen, und Jederman<lb/>
gab ihm gern zu was er behauptete. Aber<lb/>
auf die unbegreiflichſte Weiſe verletzte er die<lb/>
Gemuͤther der Menſchen, denen er eine Bey¬<lb/>ſteuer abgewinnen wollte, ja er beleidigte ſie<lb/>
ohne Noth, indem er ſeine Meynungen und<lb/>
Grillen uͤber religioͤſe Gegenſtaͤnde nicht zu¬<lb/>
ruͤckhalten konnte. Auch hierin erſchien Ba¬<lb/>ſedow als das Gegenſtuͤck von Lavatern.<lb/>
Wenn dieſer die Bibel buchſtaͤblich und mit<lb/>
ihrem ganzen Inhalte, ja Wort vor Wort,<lb/>
bis auf den heutigen Tag fuͤr geltend an¬<lb/>
nahm und fuͤr anwendbar hielt, ſo fuͤhlte<lb/>
jener den unruhigſten Kitzel alles zu verneuen,<lb/>
und ſowohl die Glaubenslehren als die aͤu¬<lb/>
ßerlichen kirchlichen Handlungen nach eignen<lb/>
einmal gefaßten Grillen umzumodeln. Am<lb/>
unbarmherzigſten jedoch, und am unvorſich¬<lb/>
tigſten verfuhr er mit denjenigen Vorſtellun¬<lb/>
gen, die ſich nicht unmittelbar aus der Bibel,<lb/>ſondern von ihrer Auslegung herſchreiben,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[418/0426]
ßen. Er wußte von ſeinem Vorhaben groß
und uͤberzeugend zu ſprechen, und Jederman
gab ihm gern zu was er behauptete. Aber
auf die unbegreiflichſte Weiſe verletzte er die
Gemuͤther der Menſchen, denen er eine Bey¬
ſteuer abgewinnen wollte, ja er beleidigte ſie
ohne Noth, indem er ſeine Meynungen und
Grillen uͤber religioͤſe Gegenſtaͤnde nicht zu¬
ruͤckhalten konnte. Auch hierin erſchien Ba¬
ſedow als das Gegenſtuͤck von Lavatern.
Wenn dieſer die Bibel buchſtaͤblich und mit
ihrem ganzen Inhalte, ja Wort vor Wort,
bis auf den heutigen Tag fuͤr geltend an¬
nahm und fuͤr anwendbar hielt, ſo fuͤhlte
jener den unruhigſten Kitzel alles zu verneuen,
und ſowohl die Glaubenslehren als die aͤu¬
ßerlichen kirchlichen Handlungen nach eignen
einmal gefaßten Grillen umzumodeln. Am
unbarmherzigſten jedoch, und am unvorſich¬
tigſten verfuhr er mit denjenigen Vorſtellun¬
gen, die ſich nicht unmittelbar aus der Bibel,
ſondern von ihrer Auslegung herſchreiben,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/426>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.