Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

mit jenen Ausdrücken, philosophischen Kunst¬
worten, oder sinnlichen Gleichnissen, womit
die Kirchenväter und Concilien sich das Un¬
aussprechliche zu verdeutlichen, oder die Ke¬
tzer zu bestreiten gesucht haben. Auf eine
harte und unverantwortliche Weise erklärte er
sich vor Jederman als den abgesagtesten
Feind der Dreyeinigkeit, und konnte gar
nicht fertig werden, gegen dieß allgemein zu¬
gestandene Geheimniß zu argumentiren. Auch
ich hatte im Privatgespräch von dieser Unter¬
haltung sehr viel zu leiden, und mußte mir
die Hypostasis und Ousia, so wie das Pro¬
sopon immer wieder vorführen lassen. Da¬
gegen griff ich zu den Waffen der Paradoxie,
überflügelte seine Meynungen und wagte, das
Verwegne mit Verwegnerem zu bekämpfen.
Dieß gab meinem Geiste wieder neue Anre¬
gung, und weil Basedow viel belesener war,
auch die Fechterstreiche des Disputirens ge¬
wandter als ich Naturalist zu führen wußte,
so hatte ich mich immer mehr anzustrengen,

27 *

mit jenen Ausdruͤcken, philoſophiſchen Kunſt¬
worten, oder ſinnlichen Gleichniſſen, womit
die Kirchenvaͤter und Concilien ſich das Un¬
ausſprechliche zu verdeutlichen, oder die Ke¬
tzer zu beſtreiten geſucht haben. Auf eine
harte und unverantwortliche Weiſe erklaͤrte er
ſich vor Jederman als den abgeſagteſten
Feind der Dreyeinigkeit, und konnte gar
nicht fertig werden, gegen dieß allgemein zu¬
geſtandene Geheimniß zu argumentiren. Auch
ich hatte im Privatgeſpraͤch von dieſer Unter¬
haltung ſehr viel zu leiden, und mußte mir
die Hypoſtaſis und Ouſia, ſo wie das Pro¬
ſopon immer wieder vorfuͤhren laſſen. Da¬
gegen griff ich zu den Waffen der Paradoxie,
uͤberfluͤgelte ſeine Meynungen und wagte, das
Verwegne mit Verwegnerem zu bekaͤmpfen.
Dieß gab meinem Geiſte wieder neue Anre¬
gung, und weil Baſedow viel beleſener war,
auch die Fechterſtreiche des Disputirens ge¬
wandter als ich Naturaliſt zu fuͤhren wußte,
ſo hatte ich mich immer mehr anzuſtrengen,

27 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0427" n="419"/>
mit jenen Ausdru&#x0364;cken, philo&#x017F;ophi&#x017F;chen Kun&#x017F;<lb/>
worten, oder &#x017F;innlichen Gleichni&#x017F;&#x017F;en, womit<lb/>
die Kirchenva&#x0364;ter und Concilien &#x017F;ich das Un¬<lb/>
aus&#x017F;prechliche zu verdeutlichen, oder die Ke¬<lb/>
tzer zu be&#x017F;treiten ge&#x017F;ucht haben. Auf eine<lb/>
harte und unverantwortliche Wei&#x017F;e erkla&#x0364;rte er<lb/>
&#x017F;ich vor Jederman als den abge&#x017F;agte&#x017F;ten<lb/>
Feind der Dreyeinigkeit, und konnte gar<lb/>
nicht fertig werden, gegen dieß allgemein zu¬<lb/>
ge&#x017F;tandene Geheimniß zu argumentiren. Auch<lb/>
ich hatte im Privatge&#x017F;pra&#x0364;ch von die&#x017F;er Unter¬<lb/>
haltung &#x017F;ehr viel zu leiden, und mußte mir<lb/>
die Hypo&#x017F;ta&#x017F;is und Ou&#x017F;ia, &#x017F;o wie das Pro¬<lb/>
&#x017F;opon immer wieder vorfu&#x0364;hren la&#x017F;&#x017F;en. Da¬<lb/>
gegen griff ich zu den Waffen der Paradoxie,<lb/>
u&#x0364;berflu&#x0364;gelte &#x017F;eine Meynungen und wagte, das<lb/>
Verwegne mit Verwegnerem zu beka&#x0364;mpfen.<lb/>
Dieß gab meinem Gei&#x017F;te wieder neue Anre¬<lb/>
gung, und weil Ba&#x017F;edow viel bele&#x017F;ener war,<lb/>
auch die Fechter&#x017F;treiche des Disputirens ge¬<lb/>
wandter als ich Naturali&#x017F;t zu fu&#x0364;hren wußte,<lb/>
&#x017F;o hatte ich mich immer mehr anzu&#x017F;trengen,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">27 *<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[419/0427] mit jenen Ausdruͤcken, philoſophiſchen Kunſt¬ worten, oder ſinnlichen Gleichniſſen, womit die Kirchenvaͤter und Concilien ſich das Un¬ ausſprechliche zu verdeutlichen, oder die Ke¬ tzer zu beſtreiten geſucht haben. Auf eine harte und unverantwortliche Weiſe erklaͤrte er ſich vor Jederman als den abgeſagteſten Feind der Dreyeinigkeit, und konnte gar nicht fertig werden, gegen dieß allgemein zu¬ geſtandene Geheimniß zu argumentiren. Auch ich hatte im Privatgeſpraͤch von dieſer Unter¬ haltung ſehr viel zu leiden, und mußte mir die Hypoſtaſis und Ouſia, ſo wie das Pro¬ ſopon immer wieder vorfuͤhren laſſen. Da¬ gegen griff ich zu den Waffen der Paradoxie, uͤberfluͤgelte ſeine Meynungen und wagte, das Verwegne mit Verwegnerem zu bekaͤmpfen. Dieß gab meinem Geiſte wieder neue Anre¬ gung, und weil Baſedow viel beleſener war, auch die Fechterſtreiche des Disputirens ge¬ wandter als ich Naturaliſt zu fuͤhren wußte, ſo hatte ich mich immer mehr anzuſtrengen, 27 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/427
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/427>, abgerufen am 24.11.2024.