Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

dazu bey, die Uebergewalt seiner Gegenwart
mit der übrigen Gesellschaft auszugleichen.
Gegen Anmaßung und Dünkel wußte er sich
sehr ruhig und geschickt zu benehmen: denn
indem er auszuweichen schien, wendete er auf
einmal eine große Ansicht, auf welche der be¬
schränkte Gegner niemals denken konnte, wie
einen diamantnen Schild hervor, und wußte
denn doch das daher entspringende Licht so
angenehm zu mäßigen, daß dergleichen Men¬
schen, wenigstens in seiner Gegenwart, sich
belehrt und überzeugt fühlten. Vielleicht hat
der Eindruck bey manchen fortgewirkt: denn
selbstische Menschen sind wohl zugleich auch
gut; es kommt nur darauf an, daß die har¬
te Schale, die den fruchtbaren Kern um¬
schließt, durch gelinde Einwirkung aufgelöst
werde.

Was ihm dagegen die größte Pein ver¬
ursachte, war die Gegenwart solcher Perso¬
nen, deren äußere Häßlichkeit sie zu entschie¬

dazu bey, die Uebergewalt ſeiner Gegenwart
mit der uͤbrigen Geſellſchaft auszugleichen.
Gegen Anmaßung und Duͤnkel wußte er ſich
ſehr ruhig und geſchickt zu benehmen: denn
indem er auszuweichen ſchien, wendete er auf
einmal eine große Anſicht, auf welche der be¬
ſchraͤnkte Gegner niemals denken konnte, wie
einen diamantnen Schild hervor, und wußte
denn doch das daher entſpringende Licht ſo
angenehm zu maͤßigen, daß dergleichen Men¬
ſchen, wenigſtens in ſeiner Gegenwart, ſich
belehrt und uͤberzeugt fuͤhlten. Vielleicht hat
der Eindruck bey manchen fortgewirkt: denn
ſelbſtiſche Menſchen ſind wohl zugleich auch
gut; es kommt nur darauf an, daß die har¬
te Schale, die den fruchtbaren Kern um¬
ſchließt, durch gelinde Einwirkung aufgeloͤſt
werde.

Was ihm dagegen die groͤßte Pein ver¬
urſachte, war die Gegenwart ſolcher Perſo¬
nen, deren aͤußere Haͤßlichkeit ſie zu entſchie¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0413" n="405"/>
dazu bey, die Uebergewalt &#x017F;einer Gegenwart<lb/>
mit der u&#x0364;brigen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft auszugleichen.<lb/>
Gegen Anmaßung und Du&#x0364;nkel wußte er &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;ehr ruhig und ge&#x017F;chickt zu benehmen: denn<lb/>
indem er auszuweichen &#x017F;chien, wendete er auf<lb/>
einmal eine große An&#x017F;icht, auf welche der be¬<lb/>
&#x017F;chra&#x0364;nkte Gegner niemals denken konnte, wie<lb/>
einen diamantnen Schild hervor, und wußte<lb/>
denn doch das daher ent&#x017F;pringende Licht &#x017F;o<lb/>
angenehm zu ma&#x0364;ßigen, daß dergleichen Men¬<lb/>
&#x017F;chen, wenig&#x017F;tens in &#x017F;einer Gegenwart, &#x017F;ich<lb/>
belehrt und u&#x0364;berzeugt fu&#x0364;hlten. Vielleicht hat<lb/>
der Eindruck bey manchen fortgewirkt: denn<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;ti&#x017F;che Men&#x017F;chen &#x017F;ind wohl zugleich auch<lb/>
gut; es kommt nur darauf an, daß die har¬<lb/>
te Schale, die den fruchtbaren Kern um¬<lb/>
&#x017F;chließt, durch gelinde Einwirkung aufgelo&#x0364;&#x017F;t<lb/>
werde.</p><lb/>
        <p>Was ihm dagegen die gro&#x0364;ßte Pein ver¬<lb/>
ur&#x017F;achte, war die Gegenwart &#x017F;olcher Per&#x017F;<lb/>
nen, deren a&#x0364;ußere Ha&#x0364;ßlichkeit &#x017F;ie zu ent&#x017F;chie¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[405/0413] dazu bey, die Uebergewalt ſeiner Gegenwart mit der uͤbrigen Geſellſchaft auszugleichen. Gegen Anmaßung und Duͤnkel wußte er ſich ſehr ruhig und geſchickt zu benehmen: denn indem er auszuweichen ſchien, wendete er auf einmal eine große Anſicht, auf welche der be¬ ſchraͤnkte Gegner niemals denken konnte, wie einen diamantnen Schild hervor, und wußte denn doch das daher entſpringende Licht ſo angenehm zu maͤßigen, daß dergleichen Men¬ ſchen, wenigſtens in ſeiner Gegenwart, ſich belehrt und uͤberzeugt fuͤhlten. Vielleicht hat der Eindruck bey manchen fortgewirkt: denn ſelbſtiſche Menſchen ſind wohl zugleich auch gut; es kommt nur darauf an, daß die har¬ te Schale, die den fruchtbaren Kern um¬ ſchließt, durch gelinde Einwirkung aufgeloͤſt werde. Was ihm dagegen die groͤßte Pein ver¬ urſachte, war die Gegenwart ſolcher Perſo¬ nen, deren aͤußere Haͤßlichkeit ſie zu entſchie¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/413
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/413>, abgerufen am 24.11.2024.