Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

hielt. Auch gegen mich mußte er sich sogleich
versuchen, und jene Broschüre kam uns bald
in die Hände. Die höchst zarte Vignette
von Chodowiecki machte mir viel Vergnügen;
wie ich denn diesen Künstler über die
Maßen verehrte. Das Machwerk selbst war
aus der rohen Hausleinwand zugeschnitten,
welche recht derb zu bereiten der Menschen¬
verstand in seinem Familienkreise sich viel zu
schaffen, macht. Ohne Gefühl, daß hier nichts
zu vermitteln sey, daß Werthers Jugendblü¬
the schon von vorn herein als vom tödlichen
Wurm gestochen erscheine, läßt der Verfasser
meine Behandlung bis Seite 214 gelten,
und als der wüste Mensch sich zum tödlichen
Schritte vorbereitet, weiß der einsichtige psy¬
chische Arzt seinem Patienten eine mit Hüh¬
nerblut geladene Pistole unterzuschieben, wo¬
raus denn ein schmutziger Spectakel, aber
glücklicher Weise kein Unheil hervorgeht. Lotte
wird Werthers Gattinn, und die ganze Sa¬
che endigt sich zu Jedermans Zufriedenheit.

hielt. Auch gegen mich mußte er ſich ſogleich
verſuchen, und jene Broſchuͤre kam uns bald
in die Haͤnde. Die hoͤchſt zarte Vignette
von Chodowiecki machte mir viel Vergnuͤgen;
wie ich denn dieſen Kuͤnſtler uͤber die
Maßen verehrte. Das Machwerk ſelbſt war
aus der rohen Hausleinwand zugeſchnitten,
welche recht derb zu bereiten der Menſchen¬
verſtand in ſeinem Familienkreiſe ſich viel zu
ſchaffen, macht. Ohne Gefuͤhl, daß hier nichts
zu vermitteln ſey, daß Werthers Jugendbluͤ¬
the ſchon von vorn herein als vom toͤdlichen
Wurm geſtochen erſcheine, laͤßt der Verfaſſer
meine Behandlung bis Seite 214 gelten,
und als der wuͤſte Menſch ſich zum toͤdlichen
Schritte vorbereitet, weiß der einſichtige pſy¬
chiſche Arzt ſeinem Patienten eine mit Huͤh¬
nerblut geladene Piſtole unterzuſchieben, wo¬
raus denn ein ſchmutziger Spectakel, aber
gluͤcklicher Weiſe kein Unheil hervorgeht. Lotte
wird Werthers Gattinn, und die ganze Sa¬
che endigt ſich zu Jedermans Zufriedenheit.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0359" n="351"/>
hielt. Auch gegen mich mußte er &#x017F;ich &#x017F;ogleich<lb/>
ver&#x017F;uchen, und jene Bro&#x017F;chu&#x0364;re kam uns bald<lb/>
in die Ha&#x0364;nde. Die ho&#x0364;ch&#x017F;t zarte Vignette<lb/>
von Chodowiecki machte mir viel Vergnu&#x0364;gen;<lb/>
wie ich denn die&#x017F;en Ku&#x0364;n&#x017F;tler u&#x0364;ber die<lb/>
Maßen verehrte. Das Machwerk &#x017F;elb&#x017F;t war<lb/>
aus der rohen Hausleinwand zuge&#x017F;chnitten,<lb/>
welche recht derb zu bereiten der Men&#x017F;chen¬<lb/>
ver&#x017F;tand in &#x017F;einem Familienkrei&#x017F;e &#x017F;ich viel zu<lb/>
&#x017F;chaffen, macht. Ohne Gefu&#x0364;hl, daß hier nichts<lb/>
zu vermitteln &#x017F;ey, daß Werthers Jugendblu&#x0364;¬<lb/>
the &#x017F;chon von vorn herein als vom to&#x0364;dlichen<lb/>
Wurm ge&#x017F;tochen er&#x017F;cheine, la&#x0364;ßt der Verfa&#x017F;&#x017F;er<lb/>
meine Behandlung bis Seite 214 gelten,<lb/>
und als der wu&#x0364;&#x017F;te Men&#x017F;ch &#x017F;ich zum to&#x0364;dlichen<lb/>
Schritte vorbereitet, weiß der ein&#x017F;ichtige p&#x017F;<lb/>
chi&#x017F;che Arzt &#x017F;einem Patienten eine mit Hu&#x0364;<lb/>
nerblut geladene Pi&#x017F;tole unterzu&#x017F;chieben, wo¬<lb/>
raus denn ein &#x017F;chmutziger Spectakel, aber<lb/>
glu&#x0364;cklicher Wei&#x017F;e kein Unheil hervorgeht. Lotte<lb/>
wird Werthers Gattinn, und die ganze Sa¬<lb/>
che endigt &#x017F;ich zu Jedermans Zufriedenheit.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[351/0359] hielt. Auch gegen mich mußte er ſich ſogleich verſuchen, und jene Broſchuͤre kam uns bald in die Haͤnde. Die hoͤchſt zarte Vignette von Chodowiecki machte mir viel Vergnuͤgen; wie ich denn dieſen Kuͤnſtler uͤber die Maßen verehrte. Das Machwerk ſelbſt war aus der rohen Hausleinwand zugeſchnitten, welche recht derb zu bereiten der Menſchen¬ verſtand in ſeinem Familienkreiſe ſich viel zu ſchaffen, macht. Ohne Gefuͤhl, daß hier nichts zu vermitteln ſey, daß Werthers Jugendbluͤ¬ the ſchon von vorn herein als vom toͤdlichen Wurm geſtochen erſcheine, laͤßt der Verfaſſer meine Behandlung bis Seite 214 gelten, und als der wuͤſte Menſch ſich zum toͤdlichen Schritte vorbereitet, weiß der einſichtige pſy¬ chiſche Arzt ſeinem Patienten eine mit Huͤh¬ nerblut geladene Piſtole unterzuſchieben, wo¬ raus denn ein ſchmutziger Spectakel, aber gluͤcklicher Weiſe kein Unheil hervorgeht. Lotte wird Werthers Gattinn, und die ganze Sa¬ che endigt ſich zu Jedermans Zufriedenheit.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/359
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/359>, abgerufen am 24.11.2024.