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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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Buchs, daß es nämlich einen didactischen
Zweck haben müsse. Die wahre Darstellung
aber hat keinen. Sie billigt nicht, sie tadelt
nicht, sondern sie entwickelt die Gesinnungen
und Handlungen in ihrer Folge und dadurch
erleuchtet und belehrt sie.

Von Recensionen nahm ich wenig Notiz.
Die Sache war für mich völlig abgethan,
jene guten Leute mochten nun auch sehn, wie
sie damit fertig wurden. Doch verfehlten meine
Freunde nicht, diese Dinge zu sammeln, und
weil sie in meine Ansichten schon mehr einge¬
weiht waren, sich darüber lustig zu machen.
Die Freuden des jungen Werther,
mit welchen Nicolai sich hervorthat, gaben uns
zu mancherley Scherzen Gelegenheit. Die¬
ser übrigens brave, verdienst- und kennt¬
nißreiche Mann hatte schon angefangen, alles
niederzuhalten und zu beseitigen, was nicht
zu seiner Sinnesart paßte, die er, geistig
sehr beschränkt, für die ächte und einzige

Buchs, daß es naͤmlich einen didactiſchen
Zweck haben muͤſſe. Die wahre Darſtellung
aber hat keinen. Sie billigt nicht, ſie tadelt
nicht, ſondern ſie entwickelt die Geſinnungen
und Handlungen in ihrer Folge und dadurch
erleuchtet und belehrt ſie.

Von Recenſionen nahm ich wenig Notiz.
Die Sache war fuͤr mich voͤllig abgethan,
jene guten Leute mochten nun auch ſehn, wie
ſie damit fertig wurden. Doch verfehlten meine
Freunde nicht, dieſe Dinge zu ſammeln, und
weil ſie in meine Anſichten ſchon mehr einge¬
weiht waren, ſich daruͤber luſtig zu machen.
Die Freuden des jungen Werther,
mit welchen Nicolai ſich hervorthat, gaben uns
zu mancherley Scherzen Gelegenheit. Die¬
ſer uͤbrigens brave, verdienſt- und kennt¬
nißreiche Mann hatte ſchon angefangen, alles
niederzuhalten und zu beſeitigen, was nicht
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[350/0358] Buchs, daß es naͤmlich einen didactiſchen Zweck haben muͤſſe. Die wahre Darſtellung aber hat keinen. Sie billigt nicht, ſie tadelt nicht, ſondern ſie entwickelt die Geſinnungen und Handlungen in ihrer Folge und dadurch erleuchtet und belehrt ſie. Von Recenſionen nahm ich wenig Notiz. Die Sache war fuͤr mich voͤllig abgethan, jene guten Leute mochten nun auch ſehn, wie ſie damit fertig wurden. Doch verfehlten meine Freunde nicht, dieſe Dinge zu ſammeln, und weil ſie in meine Anſichten ſchon mehr einge¬ weiht waren, ſich daruͤber luſtig zu machen. Die Freuden des jungen Werther, mit welchen Nicolai ſich hervorthat, gaben uns zu mancherley Scherzen Gelegenheit. Die¬ ſer uͤbrigens brave, verdienſt- und kennt¬ nißreiche Mann hatte ſchon angefangen, alles niederzuhalten und zu beſeitigen, was nicht zu ſeiner Sinnesart paßte, die er, geiſtig ſehr beſchraͤnkt, fuͤr die aͤchte und einzige

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/358>, abgerufen am 12.05.2024.