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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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gütern gesegnet, aus dem heiteren Thal Eh¬
renbreitstein und einer fröhlichen Jugend in
ein düster gelegenes Handelshaus versetzt, sich
schon als Mutter von einigen Stiefkindern
benehmen sollte. In so viel neue Familien¬
verhältnisse war ich ohne wirklichen Antheil,
ohne Mitwirkung eingeklemmt. War man
mit einander zufrieden, so schien sich das von
selbst zu verstehn; aber die meisten Theilneh¬
mer wendeten sich in verdrießlichen Fällen an
mich, die ich durch eine lebhafte Theilnahme
mehr zu verschlimmern als zu verbessern pfleg¬
te. Es dauerte nicht lange, so wurde mir
dieser Zustand ganz unerträglich, aller Lebens¬
verdruß der aus solchen Halbverhältnissen her¬
vorzugehn pflegt, schien doppelt und dreyfach
auf mir zu lasten, und es bedurfte eines
neuen gewaltsamen Entschlusses, mich auch
hiervon zu befreyen.

Jerusalems Tod, der durch die unglückli¬
che Neigung zu der Gattinn eines Freundes

guͤtern geſegnet, aus dem heiteren Thal Eh¬
renbreitſtein und einer froͤhlichen Jugend in
ein duͤſter gelegenes Handelshaus verſetzt, ſich
ſchon als Mutter von einigen Stiefkindern
benehmen ſollte. In ſo viel neue Familien¬
verhaͤltniſſe war ich ohne wirklichen Antheil,
ohne Mitwirkung eingeklemmt. War man
mit einander zufrieden, ſo ſchien ſich das von
ſelbſt zu verſtehn; aber die meiſten Theilneh¬
mer wendeten ſich in verdrießlichen Faͤllen an
mich, die ich durch eine lebhafte Theilnahme
mehr zu verſchlimmern als zu verbeſſern pfleg¬
te. Es dauerte nicht lange, ſo wurde mir
dieſer Zuſtand ganz unertraͤglich, aller Lebens¬
verdruß der aus ſolchen Halbverhaͤltniſſen her¬
vorzugehn pflegt, ſchien doppelt und dreyfach
auf mir zu laſten, und es bedurfte eines
neuen gewaltſamen Entſchluſſes, mich auch
hiervon zu befreyen.

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che Neigung zu der Gattinn eines Freundes

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[342/0350] guͤtern geſegnet, aus dem heiteren Thal Eh¬ renbreitſtein und einer froͤhlichen Jugend in ein duͤſter gelegenes Handelshaus verſetzt, ſich ſchon als Mutter von einigen Stiefkindern benehmen ſollte. In ſo viel neue Familien¬ verhaͤltniſſe war ich ohne wirklichen Antheil, ohne Mitwirkung eingeklemmt. War man mit einander zufrieden, ſo ſchien ſich das von ſelbſt zu verſtehn; aber die meiſten Theilneh¬ mer wendeten ſich in verdrießlichen Faͤllen an mich, die ich durch eine lebhafte Theilnahme mehr zu verſchlimmern als zu verbeſſern pfleg¬ te. Es dauerte nicht lange, ſo wurde mir dieſer Zuſtand ganz unertraͤglich, aller Lebens¬ verdruß der aus ſolchen Halbverhaͤltniſſen her¬ vorzugehn pflegt, ſchien doppelt und dreyfach auf mir zu laſten, und es bedurfte eines neuen gewaltſamen Entſchluſſes, mich auch hiervon zu befreyen. Jeruſalems Tod, der durch die ungluͤckli¬ che Neigung zu der Gattinn eines Freundes

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/350>, abgerufen am 23.11.2024.