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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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Namen Servieres, erinnere ich mich noch
genau. Ich kam mit der Alosino-Schwei¬
zerischen
und andern Familien gleichfalls in
Berührung, und mit den Söhnen in Ver¬
hältnisse, die sich lange freundschaftlich fort¬
setzten, und sah mich auf einmal in einem
fremden Cirkel einheimisch, an dessen Be¬
schäftigungen, Vergnügungen, selbst Religi¬
onsübungen ich Antheil zu nehmen veranlaßt,
ja genöthigt wurde. Mein früheres Verhält¬
niß zur jungen Frau, eigentlich ein geschwi¬
sterliches, ward nach der Heirat fortgesetzt;
meine Jahre sagten den ihrigen zu, ich war
der einzige in dem ganzen Kreise, an dem
sie noch einen Widerklang jener geistigen Töne
vernahm, an die sie von Jugend auf ge¬
wöhnt war. Wir lebten in einem kindlichen
Vertrauen zusammen fort, und ob sich gleich
nichts Leidenschaftliches in unsern Umgang
mischte, so war er doch peinigend genug,
weil sie sich auch in ihre neue Umgebung nicht
zu finden wußte und, obwohl mit Glücks¬

Namen Servières, erinnere ich mich noch
genau. Ich kam mit der Aloſino-Schwei¬
zeriſchen
und andern Familien gleichfalls in
Beruͤhrung, und mit den Soͤhnen in Ver¬
haͤltniſſe, die ſich lange freundſchaftlich fort¬
ſetzten, und ſah mich auf einmal in einem
fremden Cirkel einheimiſch, an deſſen Be¬
ſchaͤftigungen, Vergnuͤgungen, ſelbſt Religi¬
onsuͤbungen ich Antheil zu nehmen veranlaßt,
ja genoͤthigt wurde. Mein fruͤheres Verhaͤlt¬
niß zur jungen Frau, eigentlich ein geſchwi¬
ſterliches, ward nach der Heirat fortgeſetzt;
meine Jahre ſagten den ihrigen zu, ich war
der einzige in dem ganzen Kreiſe, an dem
ſie noch einen Widerklang jener geiſtigen Toͤne
vernahm, an die ſie von Jugend auf ge¬
woͤhnt war. Wir lebten in einem kindlichen
Vertrauen zuſammen fort, und ob ſich gleich
nichts Leidenſchaftliches in unſern Umgang
miſchte, ſo war er doch peinigend genug,
weil ſie ſich auch in ihre neue Umgebung nicht
zu finden wußte und, obwohl mit Gluͤcks¬

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[341/0349] Namen Servières, erinnere ich mich noch genau. Ich kam mit der Aloſino-Schwei¬ zeriſchen und andern Familien gleichfalls in Beruͤhrung, und mit den Soͤhnen in Ver¬ haͤltniſſe, die ſich lange freundſchaftlich fort¬ ſetzten, und ſah mich auf einmal in einem fremden Cirkel einheimiſch, an deſſen Be¬ ſchaͤftigungen, Vergnuͤgungen, ſelbſt Religi¬ onsuͤbungen ich Antheil zu nehmen veranlaßt, ja genoͤthigt wurde. Mein fruͤheres Verhaͤlt¬ niß zur jungen Frau, eigentlich ein geſchwi¬ ſterliches, ward nach der Heirat fortgeſetzt; meine Jahre ſagten den ihrigen zu, ich war der einzige in dem ganzen Kreiſe, an dem ſie noch einen Widerklang jener geiſtigen Toͤne vernahm, an die ſie von Jugend auf ge¬ woͤhnt war. Wir lebten in einem kindlichen Vertrauen zuſammen fort, und ob ſich gleich nichts Leidenſchaftliches in unſern Umgang miſchte, ſo war er doch peinigend genug, weil ſie ſich auch in ihre neue Umgebung nicht zu finden wußte und, obwohl mit Gluͤcks¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/349>, abgerufen am 27.11.2024.