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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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so war es auffallend, wie der monstrose Zu¬
stand dieses durchaus kranken Körpers, der
nur durch ein Wunder am Leben erhalten ward,
gerade den Gelehrten am meisten zusagte.
Denn der ehrwürdige deutsche Fleiß, der mehr
auf Sammlung und Entwickelung von Ein¬
zelnheiten als auf Resultate losging, fand
hier einen unversiegenden Anlaß zu immer
neuer Beschäftigung, und man mochte nun
das Reich dem Kaiser, die kleinern den grö¬
ßern Ständen, die Catholiken den Protestan¬
ten entgegensetzen, immer gab es, nach dem
verschiedenen Interesse, nothwendig verschiede¬
ne Meynungen, und immer Gelegenheit zu
neuen Kämpfen und Gegenreden.

Da ich mir alle diese ältern und neuern
Zustände möglichst vergegenwärtigt hatte, konn¬
te ich mir von meinem Wetzlarschen Aufent¬
halt unmöglich viel Freude versprechen. Die
Aussicht war nicht reizend, in einer zwar
wohl gelegenen, aber kleinen und übelgebau¬

ſo war es auffallend, wie der monſtroſe Zu¬
ſtand dieſes durchaus kranken Koͤrpers, der
nur durch ein Wunder am Leben erhalten ward,
gerade den Gelehrten am meiſten zuſagte.
Denn der ehrwuͤrdige deutſche Fleiß, der mehr
auf Sammlung und Entwickelung von Ein¬
zelnheiten als auf Reſultate losging, fand
hier einen unverſiegenden Anlaß zu immer
neuer Beſchaͤftigung, und man mochte nun
das Reich dem Kaiſer, die kleinern den groͤ¬
ßern Staͤnden, die Catholiken den Proteſtan¬
ten entgegenſetzen, immer gab es, nach dem
verſchiedenen Intereſſe, nothwendig verſchiede¬
ne Meynungen, und immer Gelegenheit zu
neuen Kaͤmpfen und Gegenreden.

Da ich mir alle dieſe aͤltern und neuern
Zuſtaͤnde moͤglichſt vergegenwaͤrtigt hatte, konn¬
te ich mir von meinem Wetzlarſchen Aufent¬
halt unmoͤglich viel Freude verſprechen. Die
Ausſicht war nicht reizend, in einer zwar
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[204/0212] ſo war es auffallend, wie der monſtroſe Zu¬ ſtand dieſes durchaus kranken Koͤrpers, der nur durch ein Wunder am Leben erhalten ward, gerade den Gelehrten am meiſten zuſagte. Denn der ehrwuͤrdige deutſche Fleiß, der mehr auf Sammlung und Entwickelung von Ein¬ zelnheiten als auf Reſultate losging, fand hier einen unverſiegenden Anlaß zu immer neuer Beſchaͤftigung, und man mochte nun das Reich dem Kaiſer, die kleinern den groͤ¬ ßern Staͤnden, die Catholiken den Proteſtan¬ ten entgegenſetzen, immer gab es, nach dem verſchiedenen Intereſſe, nothwendig verſchiede¬ ne Meynungen, und immer Gelegenheit zu neuen Kaͤmpfen und Gegenreden. Da ich mir alle dieſe aͤltern und neuern Zuſtaͤnde moͤglichſt vergegenwaͤrtigt hatte, konn¬ te ich mir von meinem Wetzlarſchen Aufent¬ halt unmoͤglich viel Freude verſprechen. Die Ausſicht war nicht reizend, in einer zwar wohl gelegenen, aber kleinen und uͤbelgebau¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/212>, abgerufen am 23.11.2024.