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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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ten Stadt eine doppelte Welt zu finden: erst
die einheimische alte hergebrachte, dann eine
fremde neue, jene scharf zu prüfen beauftragt,
ein richtendes und ein gerichtetes Gericht;
manchen Bewohner in Furcht und Sorge, er
möchte auch noch mit in die verhängte Un¬
tersuchung gezogen werden; angesehene, so lan¬
ge für würdig geltende Personen der schänd¬
lichsten Missethaten überwiesen und zu schimpf¬
licher Bestrafung bezeichnet: das alles zusam¬
men machte das traurigste Bild und konnte
nicht anreizen tiefer in ein Geschäft einzuge¬
hen, das an sich selbst verwickelt nun gar
durch Unthaten so verworren erschien.

Daß mir, außer dem deutschen Civil- und
Staatsrechte, hier nichts Wissenschaftliches
sonderlich begegnen, daß ich aller poetischen
Mittheilung entbehren würde, glaubte ich vor¬
aus zu sehn, als mich, nach einigem Zögern,
die Lust meinen Zustand zu verändern, mehr
als der Trieb nach Kenntnissen, in diese Ge¬

ten Stadt eine doppelte Welt zu finden: erſt
die einheimiſche alte hergebrachte, dann eine
fremde neue, jene ſcharf zu pruͤfen beauftragt,
ein richtendes und ein gerichtetes Gericht;
manchen Bewohner in Furcht und Sorge, er
moͤchte auch noch mit in die verhaͤngte Un¬
terſuchung gezogen werden; angeſehene, ſo lan¬
ge fuͤr wuͤrdig geltende Perſonen der ſchaͤnd¬
lichſten Miſſethaten uͤberwieſen und zu ſchimpf¬
licher Beſtrafung bezeichnet: das alles zuſam¬
men machte das traurigſte Bild und konnte
nicht anreizen tiefer in ein Geſchaͤft einzuge¬
hen, das an ſich ſelbſt verwickelt nun gar
durch Unthaten ſo verworren erſchien.

Daß mir, außer dem deutſchen Civil- und
Staatsrechte, hier nichts Wiſſenſchaftliches
ſonderlich begegnen, daß ich aller poetiſchen
Mittheilung entbehren wuͤrde, glaubte ich vor¬
aus zu ſehn, als mich, nach einigem Zoͤgern,
die Luſt meinen Zuſtand zu veraͤndern, mehr
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[205/0213] ten Stadt eine doppelte Welt zu finden: erſt die einheimiſche alte hergebrachte, dann eine fremde neue, jene ſcharf zu pruͤfen beauftragt, ein richtendes und ein gerichtetes Gericht; manchen Bewohner in Furcht und Sorge, er moͤchte auch noch mit in die verhaͤngte Un¬ terſuchung gezogen werden; angeſehene, ſo lan¬ ge fuͤr wuͤrdig geltende Perſonen der ſchaͤnd¬ lichſten Miſſethaten uͤberwieſen und zu ſchimpf¬ licher Beſtrafung bezeichnet: das alles zuſam¬ men machte das traurigſte Bild und konnte nicht anreizen tiefer in ein Geſchaͤft einzuge¬ hen, das an ſich ſelbſt verwickelt nun gar durch Unthaten ſo verworren erſchien. Daß mir, außer dem deutſchen Civil- und Staatsrechte, hier nichts Wiſſenſchaftliches ſonderlich begegnen, daß ich aller poetiſchen Mittheilung entbehren wuͤrde, glaubte ich vor¬ aus zu ſehn, als mich, nach einigem Zoͤgern, die Luſt meinen Zuſtand zu veraͤndern, mehr als der Trieb nach Kenntniſſen, in dieſe Ge¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/213>, abgerufen am 02.05.2024.