Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

ich nunmehr Wetzlar besuchen sollte, war ich
geschichtlich vorbereitet genug: denn das Cam¬
mergericht war doch auch in Gefolge des Land¬
friedens entstanden, und die Geschichte dessel¬
ben konnte für einen bedeutenden Leitfaden
durch die verworrenen deutschen Ereignisse gel¬
ten. Giebt doch die Beschaffenheit der Ge¬
richte und der Heere die genauste Einsicht in
die Beschaffenheit irgend eines Reichs. Die
Finanzen selbst, deren Einfluß man für so
wichtig hält, kommen viel weniger in Be¬
tracht: denn wenn es dem Ganzen fehlt, so
darf man dem Einzelnen nur abnehmen, was
er mühsam, zusammengescharrt und gehalten
hat, und so ist der Staat immer reich genug.

Was mir in Wetzlar begegnete, ist von
keiner großen Bedeutung, aber es kann ein
höheres Interesse einflößen, wenn man eine
flüchtige Geschichte Cammergerichts nicht
verschmähen will, um sich den ungünstigen

ich nunmehr Wetzlar beſuchen ſollte, war ich
geſchichtlich vorbereitet genug: denn das Cam¬
mergericht war doch auch in Gefolge des Land¬
friedens entſtanden, und die Geſchichte deſſel¬
ben konnte fuͤr einen bedeutenden Leitfaden
durch die verworrenen deutſchen Ereigniſſe gel¬
ten. Giebt doch die Beſchaffenheit der Ge¬
richte und der Heere die genauſte Einſicht in
die Beſchaffenheit irgend eines Reichs. Die
Finanzen ſelbſt, deren Einfluß man fuͤr ſo
wichtig haͤlt, kommen viel weniger in Be¬
tracht: denn wenn es dem Ganzen fehlt, ſo
darf man dem Einzelnen nur abnehmen, was
er muͤhſam, zuſammengeſcharrt und gehalten
hat, und ſo iſt der Staat immer reich genug.

Was mir in Wetzlar begegnete, iſt von
keiner großen Bedeutung, aber es kann ein
hoͤheres Intereſſe einfloͤßen, wenn man eine
fluͤchtige Geſchichte Cammergerichts nicht
verſchmaͤhen will, um ſich den unguͤnſtigen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0196" n="188"/>
ich nunmehr Wetzlar be&#x017F;uchen &#x017F;ollte, war ich<lb/>
ge&#x017F;chichtlich vorbereitet genug: denn das Cam¬<lb/>
mergericht war doch auch in Gefolge des Land¬<lb/>
friedens ent&#x017F;tanden, und die Ge&#x017F;chichte de&#x017F;&#x017F;el¬<lb/>
ben konnte fu&#x0364;r einen bedeutenden Leitfaden<lb/>
durch die verworrenen deut&#x017F;chen Ereigni&#x017F;&#x017F;e gel¬<lb/>
ten. Giebt doch die Be&#x017F;chaffenheit der Ge¬<lb/>
richte und der Heere die genau&#x017F;te Ein&#x017F;icht in<lb/>
die Be&#x017F;chaffenheit irgend eines Reichs. Die<lb/>
Finanzen &#x017F;elb&#x017F;t, deren Einfluß man fu&#x0364;r &#x017F;o<lb/>
wichtig ha&#x0364;lt, kommen viel weniger in Be¬<lb/>
tracht: denn wenn es dem Ganzen fehlt, &#x017F;o<lb/>
darf man dem Einzelnen nur abnehmen, was<lb/>
er mu&#x0364;h&#x017F;am, zu&#x017F;ammenge&#x017F;charrt und gehalten<lb/>
hat, und &#x017F;o i&#x017F;t der Staat immer reich genug.</p><lb/>
        <p>Was mir in Wetzlar begegnete, i&#x017F;t von<lb/>
keiner großen Bedeutung, aber es kann ein<lb/>
ho&#x0364;heres Intere&#x017F;&#x017F;e einflo&#x0364;ßen, wenn man eine<lb/>
flu&#x0364;chtige Ge&#x017F;chichte Cammergerichts nicht<lb/>
ver&#x017F;chma&#x0364;hen will, um &#x017F;ich den ungu&#x0364;n&#x017F;tigen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[188/0196] ich nunmehr Wetzlar beſuchen ſollte, war ich geſchichtlich vorbereitet genug: denn das Cam¬ mergericht war doch auch in Gefolge des Land¬ friedens entſtanden, und die Geſchichte deſſel¬ ben konnte fuͤr einen bedeutenden Leitfaden durch die verworrenen deutſchen Ereigniſſe gel¬ ten. Giebt doch die Beſchaffenheit der Ge¬ richte und der Heere die genauſte Einſicht in die Beſchaffenheit irgend eines Reichs. Die Finanzen ſelbſt, deren Einfluß man fuͤr ſo wichtig haͤlt, kommen viel weniger in Be¬ tracht: denn wenn es dem Ganzen fehlt, ſo darf man dem Einzelnen nur abnehmen, was er muͤhſam, zuſammengeſcharrt und gehalten hat, und ſo iſt der Staat immer reich genug. Was mir in Wetzlar begegnete, iſt von keiner großen Bedeutung, aber es kann ein hoͤheres Intereſſe einfloͤßen, wenn man eine fluͤchtige Geſchichte Cammergerichts nicht verſchmaͤhen will, um ſich den unguͤnſtigen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/196
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/196>, abgerufen am 27.11.2024.