Augenblick zu vergegenwärtigen, in welchem ich daselbst anlangte.
Die Herren der Erde sind es vorzüglich dadurch, daß sie, wie im Kriege die Tapfer¬ sten und Entschlossensten, so im Frieden die Weisesten und Gerechtesten um sich versam¬ meln können. Auch zu dem Hofstaat eines deutschen Kaisers gehörte ein solches Gericht, das ihn, bey seinen Zügen durch das Reich, immer begleitete. Aber weder diese Sorgfalt noch das Schwabenrecht, welches im südlichen Deutschland, das Sachsenrecht, welches im nördlichen galt, weder die zu Aufrechthaltung derselben bestellten Richter, noch die Austrä¬ ge der Ebenbürtigen, weder die Schiedsrich¬ ter, durch Vertrag anerkannt, noch gütliche Vergleiche, durch die Geistlichen gestiftet, nichts konnte den aufgereizten ritterlichen Fehdegeist stillen, der bey den Deutschen durch innern Zwist, durch fremde Feldzüge, besonders aber durch die Kreuzfahrten, ja durch Gerichtsge¬
Augenblick zu vergegenwaͤrtigen, in welchem ich daſelbſt anlangte.
Die Herren der Erde ſind es vorzuͤglich dadurch, daß ſie, wie im Kriege die Tapfer¬ ſten und Entſchloſſenſten, ſo im Frieden die Weiſeſten und Gerechteſten um ſich verſam¬ meln koͤnnen. Auch zu dem Hofſtaat eines deutſchen Kaiſers gehoͤrte ein ſolches Gericht, das ihn, bey ſeinen Zuͤgen durch das Reich, immer begleitete. Aber weder dieſe Sorgfalt noch das Schwabenrecht, welches im ſuͤdlichen Deutſchland, das Sachſenrecht, welches im noͤrdlichen galt, weder die zu Aufrechthaltung derſelben beſtellten Richter, noch die Austraͤ¬ ge der Ebenbuͤrtigen, weder die Schiedsrich¬ ter, durch Vertrag anerkannt, noch guͤtliche Vergleiche, durch die Geiſtlichen geſtiftet, nichts konnte den aufgereizten ritterlichen Fehdegeiſt ſtillen, der bey den Deutſchen durch innern Zwiſt, durch fremde Feldzuͤge, beſonders aber durch die Kreuzfahrten, ja durch Gerichtsge¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0197"n="189"/>
Augenblick zu vergegenwaͤrtigen, in welchem<lb/>
ich daſelbſt anlangte.</p><lb/><p>Die Herren der Erde ſind es vorzuͤglich<lb/>
dadurch, daß ſie, wie im Kriege die Tapfer¬<lb/>ſten und Entſchloſſenſten, ſo im Frieden die<lb/>
Weiſeſten und Gerechteſten um ſich verſam¬<lb/>
meln koͤnnen. Auch zu dem Hofſtaat eines<lb/>
deutſchen Kaiſers gehoͤrte ein ſolches Gericht,<lb/>
das ihn, bey ſeinen Zuͤgen durch das Reich,<lb/>
immer begleitete. Aber weder dieſe Sorgfalt<lb/>
noch das Schwabenrecht, welches im ſuͤdlichen<lb/>
Deutſchland, das Sachſenrecht, welches im<lb/>
noͤrdlichen galt, weder die zu Aufrechthaltung<lb/>
derſelben beſtellten Richter, noch die Austraͤ¬<lb/>
ge der Ebenbuͤrtigen, weder die Schiedsrich¬<lb/>
ter, durch Vertrag anerkannt, noch guͤtliche<lb/>
Vergleiche, durch die Geiſtlichen geſtiftet, nichts<lb/>
konnte den aufgereizten ritterlichen Fehdegeiſt<lb/>ſtillen, der bey den Deutſchen durch innern<lb/>
Zwiſt, durch fremde Feldzuͤge, beſonders aber<lb/>
durch die Kreuzfahrten, ja durch Gerichtsge¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[189/0197]
Augenblick zu vergegenwaͤrtigen, in welchem
ich daſelbſt anlangte.
Die Herren der Erde ſind es vorzuͤglich
dadurch, daß ſie, wie im Kriege die Tapfer¬
ſten und Entſchloſſenſten, ſo im Frieden die
Weiſeſten und Gerechteſten um ſich verſam¬
meln koͤnnen. Auch zu dem Hofſtaat eines
deutſchen Kaiſers gehoͤrte ein ſolches Gericht,
das ihn, bey ſeinen Zuͤgen durch das Reich,
immer begleitete. Aber weder dieſe Sorgfalt
noch das Schwabenrecht, welches im ſuͤdlichen
Deutſchland, das Sachſenrecht, welches im
noͤrdlichen galt, weder die zu Aufrechthaltung
derſelben beſtellten Richter, noch die Austraͤ¬
ge der Ebenbuͤrtigen, weder die Schiedsrich¬
ter, durch Vertrag anerkannt, noch guͤtliche
Vergleiche, durch die Geiſtlichen geſtiftet, nichts
konnte den aufgereizten ritterlichen Fehdegeiſt
ſtillen, der bey den Deutſchen durch innern
Zwiſt, durch fremde Feldzuͤge, beſonders aber
durch die Kreuzfahrten, ja durch Gerichtsge¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/197>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.