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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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Wald von Statuen, durch den man sich durch¬
winden, eine große ideale Volksgesellschaft,
zwischen der man sich durchdrängen mußte.
Alle diese herrlichen Gebilde konnten durch
Auf- und Zuziehn der Vorhänge in das vor¬
theilhafteste Licht gestellt werden; überdieß
waren sie auf ihren Postamenten beweglich
und nach Belieben zu wenden und zu drehen.

Nachdem ich die erste Wirkung dieser un¬
widerstehlichen Masse eine Zeit lang geduldet
hatte, wendete ich mich zu denen Gestalten,
die mich am meisten anzogen, und wer kann
leugnen, daß Apoll von Belvedere, durch sei¬
ne mäßige Colossalgröße, den schlanken Bau,
die freye Bewegung, den siegenden Blick, auch
über unsere Empfindung vor allen andern den
Sieg davon trage? Sodann wendete ich mich
zu Laokoon, den ich hier zuerst mit seinen
Söhnen in Verbindung sah. Ich vergegen¬
wärtigte mir so gut als möglich das, was
über ihn verhandelt und gestritten worden

Wald von Statuen, durch den man ſich durch¬
winden, eine große ideale Volksgeſellſchaft,
zwiſchen der man ſich durchdraͤngen mußte.
Alle dieſe herrlichen Gebilde konnten durch
Auf- und Zuziehn der Vorhaͤnge in das vor¬
theilhafteſte Licht geſtellt werden; uͤberdieß
waren ſie auf ihren Poſtamenten beweglich
und nach Belieben zu wenden und zu drehen.

Nachdem ich die erſte Wirkung dieſer un¬
widerſtehlichen Maſſe eine Zeit lang geduldet
hatte, wendete ich mich zu denen Geſtalten,
die mich am meiſten anzogen, und wer kann
leugnen, daß Apoll von Belvedere, durch ſei¬
ne maͤßige Coloſſalgroͤße, den ſchlanken Bau,
die freye Bewegung, den ſiegenden Blick, auch
uͤber unſere Empfindung vor allen andern den
Sieg davon trage? Sodann wendete ich mich
zu Laokoon, den ich hier zuerſt mit ſeinen
Soͤhnen in Verbindung ſah. Ich vergegen¬
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[130/0138] Wald von Statuen, durch den man ſich durch¬ winden, eine große ideale Volksgeſellſchaft, zwiſchen der man ſich durchdraͤngen mußte. Alle dieſe herrlichen Gebilde konnten durch Auf- und Zuziehn der Vorhaͤnge in das vor¬ theilhafteſte Licht geſtellt werden; uͤberdieß waren ſie auf ihren Poſtamenten beweglich und nach Belieben zu wenden und zu drehen. Nachdem ich die erſte Wirkung dieſer un¬ widerſtehlichen Maſſe eine Zeit lang geduldet hatte, wendete ich mich zu denen Geſtalten, die mich am meiſten anzogen, und wer kann leugnen, daß Apoll von Belvedere, durch ſei¬ ne maͤßige Coloſſalgroͤße, den ſchlanken Bau, die freye Bewegung, den ſiegenden Blick, auch uͤber unſere Empfindung vor allen andern den Sieg davon trage? Sodann wendete ich mich zu Laokoon, den ich hier zuerſt mit ſeinen Soͤhnen in Verbindung ſah. Ich vergegen¬ waͤrtigte mir ſo gut als moͤglich das, was uͤber ihn verhandelt und geſtritten worden

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/138>, abgerufen am 23.11.2024.