Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

den hören, desto weniger aber gesehn: denn
außer Laokoon, dem Vater, und dem Faun
mit den Crotalen befanden sich keine Abgüsse
auf der Academie; und was uns Oeser bey
Gelegenheit dieser Bildnisse zu sagen beliebte,
war freylich räthselhaft genug. Wie will man
aber auch Anfängern von dem Ende der Kunst
einen Begriff geben?

Director Verschaffels Empfang war
freundlich. Zu dem Saale führte mich einer
seiner Gesellen, der, nachdem er mir aufge¬
schlossen, mich meinen Neigungen und Be¬
trachtungen überließ. Hier stand ich nun,
den wundersamsten Eindrücken ausgesetzt, in
einem geräumigen, viereckten, bey außeror¬
dentlicher Höhe fast cubischen Saal, in ei¬
nem durch Fenster unter dem Gesims von
oben wohl erleuchteten Raum: die herrlichsten
Statuen des Alterthums nicht allein an den
Wänden gereiht, sondern auch innerhalb der
ganzen Fläche durch einander aufgestellt; ein

III. 9

den hoͤren, deſto weniger aber geſehn: denn
außer Laokoon, dem Vater, und dem Faun
mit den Crotalen befanden ſich keine Abguͤſſe
auf der Academie; und was uns Oeſer bey
Gelegenheit dieſer Bildniſſe zu ſagen beliebte,
war freylich raͤthſelhaft genug. Wie will man
aber auch Anfaͤngern von dem Ende der Kunſt
einen Begriff geben?

Director Verſchaffels Empfang war
freundlich. Zu dem Saale fuͤhrte mich einer
ſeiner Geſellen, der, nachdem er mir aufge¬
ſchloſſen, mich meinen Neigungen und Be¬
trachtungen uͤberließ. Hier ſtand ich nun,
den wunderſamſten Eindruͤcken ausgeſetzt, in
einem geraͤumigen, viereckten, bey außeror¬
dentlicher Hoͤhe faſt cubiſchen Saal, in ei¬
nem durch Fenſter unter dem Geſims von
oben wohl erleuchteten Raum: die herrlichſten
Statuen des Alterthums nicht allein an den
Waͤnden gereiht, ſondern auch innerhalb der
ganzen Flaͤche durch einander aufgeſtellt; ein

III. 9
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0137" n="129"/>
den ho&#x0364;ren, de&#x017F;to weniger aber ge&#x017F;ehn: denn<lb/>
außer Laokoon, dem Vater, und dem Faun<lb/>
mit den Crotalen befanden &#x017F;ich keine Abgu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e<lb/>
auf der Academie; und was uns Oe&#x017F;er bey<lb/>
Gelegenheit die&#x017F;er Bildni&#x017F;&#x017F;e zu &#x017F;agen beliebte,<lb/>
war freylich ra&#x0364;th&#x017F;elhaft genug. Wie will man<lb/>
aber auch Anfa&#x0364;ngern von dem Ende der Kun&#x017F;t<lb/>
einen Begriff geben?</p><lb/>
        <p>Director <hi rendition="#g">Ver&#x017F;chaffels</hi> Empfang war<lb/>
freundlich. Zu dem Saale fu&#x0364;hrte mich einer<lb/>
&#x017F;einer Ge&#x017F;ellen, der, nachdem er mir aufge¬<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, mich meinen Neigungen und Be¬<lb/>
trachtungen u&#x0364;berließ. Hier &#x017F;tand ich nun,<lb/>
den wunder&#x017F;am&#x017F;ten Eindru&#x0364;cken ausge&#x017F;etzt, in<lb/>
einem gera&#x0364;umigen, viereckten, bey außeror¬<lb/>
dentlicher Ho&#x0364;he fa&#x017F;t cubi&#x017F;chen Saal, in ei¬<lb/>
nem durch Fen&#x017F;ter unter dem Ge&#x017F;ims von<lb/>
oben wohl erleuchteten Raum: die herrlich&#x017F;ten<lb/>
Statuen des Alterthums nicht allein an den<lb/>
Wa&#x0364;nden gereiht, &#x017F;ondern auch innerhalb der<lb/>
ganzen Fla&#x0364;che durch einander aufge&#x017F;tellt; ein<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">III. 9<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[129/0137] den hoͤren, deſto weniger aber geſehn: denn außer Laokoon, dem Vater, und dem Faun mit den Crotalen befanden ſich keine Abguͤſſe auf der Academie; und was uns Oeſer bey Gelegenheit dieſer Bildniſſe zu ſagen beliebte, war freylich raͤthſelhaft genug. Wie will man aber auch Anfaͤngern von dem Ende der Kunſt einen Begriff geben? Director Verſchaffels Empfang war freundlich. Zu dem Saale fuͤhrte mich einer ſeiner Geſellen, der, nachdem er mir aufge¬ ſchloſſen, mich meinen Neigungen und Be¬ trachtungen uͤberließ. Hier ſtand ich nun, den wunderſamſten Eindruͤcken ausgeſetzt, in einem geraͤumigen, viereckten, bey außeror¬ dentlicher Hoͤhe faſt cubiſchen Saal, in ei¬ nem durch Fenſter unter dem Geſims von oben wohl erleuchteten Raum: die herrlichſten Statuen des Alterthums nicht allein an den Waͤnden gereiht, ſondern auch innerhalb der ganzen Flaͤche durch einander aufgeſtellt; ein III. 9

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/137
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/137>, abgerufen am 23.11.2024.