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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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Vorwand nahm und auf einen Spazirgang
antrug, welcher denn auch sogleich beliebt
wurde. Er bot der ältesten den Arm, ich
der jüngsten, und so zogen wir durch die wei¬
ten Fluren, mehr den Himmel über uns zum
Gegenstande habend, als die Erde, die sich
neben uns in der Breite verlor. Friedrickens
Reden jedoch hatten nichts Mondscheinhaftes;
durch die Klarheit, womit sie sprach, machte
sie die Nacht zum Tage, und es war nichts
darin was eine Empfindung angedeutet oder
erweckt hätte, nur bezogen sich ihre Aeuße¬
rungen mehr als bisher auf mich, indem sie
sowohl ihren Zustand als die Gegend und ihre
Bekannten mir von der Seite vorstellte, wie¬
fern ich sie würde kennen lernen: denn sie
hoffe, setzte sie hinzu, daß ich keine Ausnah¬
me machen und sie wieder besuchen würde,
wie jeder Fremde gern gethan, der einmal
bey ihnen eingekehrt sey.

Vorwand nahm und auf einen Spazirgang
antrug, welcher denn auch ſogleich beliebt
wurde. Er bot der aͤlteſten den Arm, ich
der juͤngſten, und ſo zogen wir durch die wei¬
ten Fluren, mehr den Himmel uͤber uns zum
Gegenſtande habend, als die Erde, die ſich
neben uns in der Breite verlor. Friedrickens
Reden jedoch hatten nichts Mondſcheinhaftes;
durch die Klarheit, womit ſie ſprach, machte
ſie die Nacht zum Tage, und es war nichts
darin was eine Empfindung angedeutet oder
erweckt haͤtte, nur bezogen ſich ihre Aeuße¬
rungen mehr als bisher auf mich, indem ſie
ſowohl ihren Zuſtand als die Gegend und ihre
Bekannten mir von der Seite vorſtellte, wie¬
fern ich ſie wuͤrde kennen lernen: denn ſie
hoffe, ſetzte ſie hinzu, daß ich keine Ausnah¬
me machen und ſie wieder beſuchen wuͤrde,
wie jeder Fremde gern gethan, der einmal
bey ihnen eingekehrt ſey.

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[541/0549] Vorwand nahm und auf einen Spazirgang antrug, welcher denn auch ſogleich beliebt wurde. Er bot der aͤlteſten den Arm, ich der juͤngſten, und ſo zogen wir durch die wei¬ ten Fluren, mehr den Himmel uͤber uns zum Gegenſtande habend, als die Erde, die ſich neben uns in der Breite verlor. Friedrickens Reden jedoch hatten nichts Mondſcheinhaftes; durch die Klarheit, womit ſie ſprach, machte ſie die Nacht zum Tage, und es war nichts darin was eine Empfindung angedeutet oder erweckt haͤtte, nur bezogen ſich ihre Aeuße¬ rungen mehr als bisher auf mich, indem ſie ſowohl ihren Zuſtand als die Gegend und ihre Bekannten mir von der Seite vorſtellte, wie¬ fern ich ſie wuͤrde kennen lernen: denn ſie hoffe, ſetzte ſie hinzu, daß ich keine Ausnah¬ me machen und ſie wieder beſuchen wuͤrde, wie jeder Fremde gern gethan, der einmal bey ihnen eingekehrt ſey.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 541. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/549>, abgerufen am 11.06.2024.