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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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gen Fußpfad über Wiesen, gelangten bald
nach Sesenheim, ließen unsere Pferde im
Wirthshause und gingen gelassen nach dem
Pfarrhofe. -- Laß dich, sagte Weyland, in¬
dem er mir das Haus von weitem zeigte,
nicht irren, daß es einem alten und schlechten
Bauerhause ähnlich sieht; inwendig ist es de¬
sto jünger. -- Wir traten in den Hof; das
Ganze gefiel mir wohl: denn es hatte gerade
das, was man malerisch nennt, und was
mich in der niederländischen Kunst so zaube¬
risch angesprochen hatte. Jene Wirkung war
gewaltig sichtbar, welche die Zeit über alles
Menschenwerk ausübt. Haus und Scheune
und Stall befanden sich in dem Zustande des
Verfalls gerade auf dem Puncte, wo man
unschlüßig, zwischen Erhalten und Neuauf¬
richten zweifelhaft, das Eine unterläßt, ohne
zu dem Andern gelangen zu können.

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gen Fußpfad uͤber Wieſen, gelangten bald
nach Seſenheim, ließen unſere Pferde im
Wirthshauſe und gingen gelaſſen nach dem
Pfarrhofe. — Laß dich, ſagte Weyland, in¬
dem er mir das Haus von weitem zeigte,
nicht irren, daß es einem alten und ſchlechten
Bauerhauſe aͤhnlich ſieht; inwendig iſt es de¬
ſto juͤnger. — Wir traten in den Hof; das
Ganze gefiel mir wohl: denn es hatte gerade
das, was man maleriſch nennt, und was
mich in der niederlaͤndiſchen Kunſt ſo zaube¬
riſch angeſprochen hatte. Jene Wirkung war
gewaltig ſichtbar, welche die Zeit uͤber alles
Menſchenwerk ausuͤbt. Haus und Scheune
und Stall befanden ſich in dem Zuſtande des
Verfalls gerade auf dem Puncte, wo man
unſchluͤßig, zwiſchen Erhalten und Neuauf¬
richten zweifelhaft, das Eine unterlaͤßt, ohne
zu dem Andern gelangen zu koͤnnen.

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[531/0539] gen Fußpfad uͤber Wieſen, gelangten bald nach Seſenheim, ließen unſere Pferde im Wirthshauſe und gingen gelaſſen nach dem Pfarrhofe. — Laß dich, ſagte Weyland, in¬ dem er mir das Haus von weitem zeigte, nicht irren, daß es einem alten und ſchlechten Bauerhauſe aͤhnlich ſieht; inwendig iſt es de¬ ſto juͤnger. — Wir traten in den Hof; das Ganze gefiel mir wohl: denn es hatte gerade das, was man maleriſch nennt, und was mich in der niederlaͤndiſchen Kunſt ſo zaube¬ riſch angeſprochen hatte. Jene Wirkung war gewaltig ſichtbar, welche die Zeit uͤber alles Menſchenwerk ausuͤbt. Haus und Scheune und Stall befanden ſich in dem Zuſtande des Verfalls gerade auf dem Puncte, wo man unſchluͤßig, zwiſchen Erhalten und Neuauf¬ richten zweifelhaft, das Eine unterlaͤßt, ohne zu dem Andern gelangen zu koͤnnen. 34 *

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 531. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/539>, abgerufen am 11.06.2024.