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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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Alles war still und menschenleer, wie im
Dorfe so im Hofe. Wir fanden den Vater,
einen kleinen, in sich gekehrten aber doch
freundlichen Mann, ganz allein: denn die Fa¬
milie war auf dem Felde. Er hieß uns will¬
kommen, bot uns eine Erfrischung an, die
wir ablehnten. Mein Freund eilte die
Frauenzimmer aufzusuchen, und ich blieb mit
unserem Wirth allein. -- Sie wundern sich
vielleicht, sagte er, daß Sie mich in einem
reichen Dorfe und bey einer einträglichen
Stelle so schlecht quartiert finden; das kommt
aber, fuhr er fort, von der Unentschlossen¬
heit. Schon lange ist mir's von der Gemei¬
ne, ja von den oberen Stellen zugesagt, daß
das Haus neu aufgerichtet werden soll; meh¬
rere Risse sind schon gemacht, geprüft, ver¬
ändert, keiner ganz verworfen und keiner aus¬
geführt worden. Es hat so viele Jahre ge¬
dauert, daß ich mich vor Ungeduld kaum zu
fassen weiß. -- Ich erwiederte ihm, was ich

Alles war ſtill und menſchenleer, wie im
Dorfe ſo im Hofe. Wir fanden den Vater,
einen kleinen, in ſich gekehrten aber doch
freundlichen Mann, ganz allein: denn die Fa¬
milie war auf dem Felde. Er hieß uns will¬
kommen, bot uns eine Erfriſchung an, die
wir ablehnten. Mein Freund eilte die
Frauenzimmer aufzuſuchen, und ich blieb mit
unſerem Wirth allein. — Sie wundern ſich
vielleicht, ſagte er, daß Sie mich in einem
reichen Dorfe und bey einer eintraͤglichen
Stelle ſo ſchlecht quartiert finden; das kommt
aber, fuhr er fort, von der Unentſchloſſen¬
heit. Schon lange iſt mir's von der Gemei¬
ne, ja von den oberen Stellen zugeſagt, daß
das Haus neu aufgerichtet werden ſoll; meh¬
rere Riſſe ſind ſchon gemacht, gepruͤft, ver¬
aͤndert, keiner ganz verworfen und keiner aus¬
gefuͤhrt worden. Es hat ſo viele Jahre ge¬
dauert, daß ich mich vor Ungeduld kaum zu
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[532/0540] Alles war ſtill und menſchenleer, wie im Dorfe ſo im Hofe. Wir fanden den Vater, einen kleinen, in ſich gekehrten aber doch freundlichen Mann, ganz allein: denn die Fa¬ milie war auf dem Felde. Er hieß uns will¬ kommen, bot uns eine Erfriſchung an, die wir ablehnten. Mein Freund eilte die Frauenzimmer aufzuſuchen, und ich blieb mit unſerem Wirth allein. — Sie wundern ſich vielleicht, ſagte er, daß Sie mich in einem reichen Dorfe und bey einer eintraͤglichen Stelle ſo ſchlecht quartiert finden; das kommt aber, fuhr er fort, von der Unentſchloſſen¬ heit. Schon lange iſt mir's von der Gemei¬ ne, ja von den oberen Stellen zugeſagt, daß das Haus neu aufgerichtet werden ſoll; meh¬ rere Riſſe ſind ſchon gemacht, gepruͤft, ver¬ aͤndert, keiner ganz verworfen und keiner aus¬ gefuͤhrt worden. Es hat ſo viele Jahre ge¬ dauert, daß ich mich vor Ungeduld kaum zu faſſen weiß. — Ich erwiederte ihm, was ich

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 532. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/540>, abgerufen am 11.06.2024.