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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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jungen Ritter anzureizen, der sich schon ange¬
wöhnt hatte, alle abzumüßigenden Tage und
Stunden zu Pferde und in freyer Luft zuzu¬
bringen. Also entschlossen wir uns auch zu
dieser Partie, wobey mir mein Freund ver¬
sprechen mußte, daß er bey der Einführung
weder Gutes noch Böses von mir sagen, über¬
haupt aber mich gleichgültig behandeln wolle,
sogar erlauben, wo nicht schlecht, doch etwas
ärmlich und nachlässig gekleidet zu erscheinen.
Er willigte darein und versprach sich selbst ei¬
nigen Spaß davon.

Es ist eine verzeihliche Grille bedeutender
Menschen, gelegentlich einmal äußere Vorzüge
in's Verborgene zu stellen, um den eignen
innern menschlichen Gehalt desto reiner wir¬
ken zu lassen; deswegen hat das Incognito
der Fürsten und die daraus entspringenden
Abenteuer immer etwas höchst Angenehmes:
es erscheinen verkleidete Gottheiten, die alles

jungen Ritter anzureizen, der ſich ſchon ange¬
woͤhnt hatte, alle abzumuͤßigenden Tage und
Stunden zu Pferde und in freyer Luft zuzu¬
bringen. Alſo entſchloſſen wir uns auch zu
dieſer Partie, wobey mir mein Freund ver¬
ſprechen mußte, daß er bey der Einfuͤhrung
weder Gutes noch Boͤſes von mir ſagen, uͤber¬
haupt aber mich gleichguͤltig behandeln wolle,
ſogar erlauben, wo nicht ſchlecht, doch etwas
aͤrmlich und nachlaͤſſig gekleidet zu erſcheinen.
Er willigte darein und verſprach ſich ſelbſt ei¬
nigen Spaß davon.

Es iſt eine verzeihliche Grille bedeutender
Menſchen, gelegentlich einmal aͤußere Vorzuͤge
in's Verborgene zu ſtellen, um den eignen
innern menſchlichen Gehalt deſto reiner wir¬
ken zu laſſen; deswegen hat das Incognito
der Fuͤrſten und die daraus entſpringenden
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[528/0536] jungen Ritter anzureizen, der ſich ſchon ange¬ woͤhnt hatte, alle abzumuͤßigenden Tage und Stunden zu Pferde und in freyer Luft zuzu¬ bringen. Alſo entſchloſſen wir uns auch zu dieſer Partie, wobey mir mein Freund ver¬ ſprechen mußte, daß er bey der Einfuͤhrung weder Gutes noch Boͤſes von mir ſagen, uͤber¬ haupt aber mich gleichguͤltig behandeln wolle, ſogar erlauben, wo nicht ſchlecht, doch etwas aͤrmlich und nachlaͤſſig gekleidet zu erſcheinen. Er willigte darein und verſprach ſich ſelbſt ei¬ nigen Spaß davon. Es iſt eine verzeihliche Grille bedeutender Menſchen, gelegentlich einmal aͤußere Vorzuͤge in's Verborgene zu ſtellen, um den eignen innern menſchlichen Gehalt deſto reiner wir¬ ken zu laſſen; deswegen hat das Incognito der Fuͤrſten und die daraus entſpringenden Abenteuer immer etwas hoͤchſt Angenehmes: es erſcheinen verkleidete Gottheiten, die alles

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 528. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/536>, abgerufen am 11.06.2024.