besonders aber erzürnte er sich über unsern Mangel an Scharfsinn, daß wir die Contra¬ ste, deren sich der Verfasser oft bedient, nicht voraussahen, uns davon rühren und hinrei¬ ßen ließen, ohne den öfters wiederkehrenden Kunstgriff zu merken. Daß wir aber gleich zu Anfang, wo Burchel, indem er bey einer Erzählung aus der dritten Person in die erste übergeht, sich zu verrathen im Begriff ist, daß wir nicht gleich eingesehn oder wenigstens gemuthmaßt hatten, daß er der Lord, von dem er spricht, selbst sey, verzieh er uns nicht, und als wir zuletzt, bey Entdeckung und Ver¬ wandlung des armen kümmerlichen Wanderers in einen reichen, mächtigen Herrn, uns kind¬ lich freuten, rief er erst jene Stelle zurück, die wir nach der Absicht des Autors über¬ hört hatten, und hielt über unsern Stumpf¬ sinn eine gewaltige Strafpredigt. Man sieht hieraus, daß er das Werk bloß als Kunstpro¬ duct ansah und von uns das Gleiche verlang¬
beſonders aber erzuͤrnte er ſich uͤber unſern Mangel an Scharfſinn, daß wir die Contra¬ ſte, deren ſich der Verfaſſer oft bedient, nicht vorausſahen, uns davon ruͤhren und hinrei¬ ßen ließen, ohne den oͤfters wiederkehrenden Kunſtgriff zu merken. Daß wir aber gleich zu Anfang, wo Burchel, indem er bey einer Erzaͤhlung aus der dritten Perſon in die erſte uͤbergeht, ſich zu verrathen im Begriff iſt, daß wir nicht gleich eingeſehn oder wenigſtens gemuthmaßt hatten, daß er der Lord, von dem er ſpricht, ſelbſt ſey, verzieh er uns nicht, und als wir zuletzt, bey Entdeckung und Ver¬ wandlung des armen kuͤmmerlichen Wanderers in einen reichen, maͤchtigen Herrn, uns kind¬ lich freuten, rief er erſt jene Stelle zuruͤck, die wir nach der Abſicht des Autors uͤber¬ hoͤrt hatten, und hielt uͤber unſern Stumpf¬ ſinn eine gewaltige Strafpredigt. Man ſieht hieraus, daß er das Werk bloß als Kunſtpro¬ duct anſah und von uns das Gleiche verlang¬
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beſonders aber erzuͤrnte er ſich uͤber unſern
Mangel an Scharfſinn, daß wir die Contra¬
ſte, deren ſich der Verfaſſer oft bedient, nicht
vorausſahen, uns davon ruͤhren und hinrei¬
ßen ließen, ohne den oͤfters wiederkehrenden
Kunſtgriff zu merken. Daß wir aber gleich
zu Anfang, wo Burchel, indem er bey einer
Erzaͤhlung aus der dritten Perſon in die erſte
uͤbergeht, ſich zu verrathen im Begriff iſt,
daß wir nicht gleich eingeſehn oder wenigſtens
gemuthmaßt hatten, daß er der Lord, von
dem er ſpricht, ſelbſt ſey, verzieh er uns nicht,
und als wir zuletzt, bey Entdeckung und Ver¬
wandlung des armen kuͤmmerlichen Wanderers
in einen reichen, maͤchtigen Herrn, uns kind¬
lich freuten, rief er erſt jene Stelle zuruͤck,
die wir nach der Abſicht des Autors uͤber¬
hoͤrt hatten, und hielt uͤber unſern Stumpf¬
ſinn eine gewaltige Strafpredigt. Man ſieht
hieraus, daß er das Werk bloß als Kunſtpro¬
duct anſah und von uns das Gleiche verlang¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 525. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/533>, abgerufen am 06.01.2025.
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