nicht lebhaft vor ihm wirkten, sondern nur sanft vorübergleiteten. Doch hatte diese Art des Vortrags, aus seinem Munde, einen unendlichen Reiz: denn weil er alles aufs tiefste empfand, und die Mannigfaltigkeit ei¬ nes solchen Werts hochzuschätzen wußte, so trat das ganze Verdienst einer Production rein und um so deutlicher hervor, als man nicht durch scharf ausgesprochene Einzelnheiten ge¬ stört und aus der Empfindung gerissen wurde, welche das Ganze gewähren sollte.
Ein protestantischer Landgeistlicher ist viel¬ leicht der schönste Gegenstand einer modernen Idylle; er erscheint, wie Melchisedech, als Priester und König in Einer Person. An den unschuldigsten Zustand, der sich auf Er¬ den denken läßt, an den des Ackermanns, ist er meistens durch gleiche Beschäftigung, so wie durch gleiche Familienverhältnisse geknüpft; er ist Vater, Hausherr, Landmann und so
nicht lebhaft vor ihm wirkten, ſondern nur ſanft voruͤbergleiteten. Doch hatte dieſe Art des Vortrags, aus ſeinem Munde, einen unendlichen Reiz: denn weil er alles aufs tiefſte empfand, und die Mannigfaltigkeit ei¬ nes ſolchen Werts hochzuſchaͤtzen wußte, ſo trat das ganze Verdienſt einer Production rein und um ſo deutlicher hervor, als man nicht durch ſcharf ausgeſprochene Einzelnheiten ge¬ ſtoͤrt und aus der Empfindung geriſſen wurde, welche das Ganze gewaͤhren ſollte.
Ein proteſtantiſcher Landgeiſtlicher iſt viel¬ leicht der ſchoͤnſte Gegenſtand einer modernen Idylle; er erſcheint, wie Melchiſedech, als Prieſter und Koͤnig in Einer Perſon. An den unſchuldigſten Zuſtand, der ſich auf Er¬ den denken laͤßt, an den des Ackermanns, iſt er meiſtens durch gleiche Beſchaͤftigung, ſo wie durch gleiche Familienverhaͤltniſſe geknuͤpft; er iſt Vater, Hausherr, Landmann und ſo
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0527"n="519"/>
nicht lebhaft vor ihm wirkten, ſondern nur<lb/>ſanft voruͤbergleiteten. Doch hatte dieſe Art<lb/>
des Vortrags, aus ſeinem Munde, einen<lb/>
unendlichen Reiz: denn weil er alles aufs<lb/>
tiefſte empfand, und die Mannigfaltigkeit ei¬<lb/>
nes ſolchen Werts hochzuſchaͤtzen wußte, ſo<lb/>
trat das ganze Verdienſt einer Production rein<lb/>
und um ſo deutlicher hervor, als man nicht<lb/>
durch ſcharf ausgeſprochene Einzelnheiten ge¬<lb/>ſtoͤrt und aus der Empfindung geriſſen wurde,<lb/>
welche das Ganze gewaͤhren ſollte.</p><lb/><p>Ein proteſtantiſcher Landgeiſtlicher iſt viel¬<lb/>
leicht der ſchoͤnſte Gegenſtand einer modernen<lb/>
Idylle; er erſcheint, wie Melchiſedech, als<lb/>
Prieſter und Koͤnig in Einer Perſon. An<lb/>
den unſchuldigſten Zuſtand, der ſich auf Er¬<lb/>
den denken laͤßt, an den des Ackermanns, iſt<lb/>
er meiſtens durch gleiche Beſchaͤftigung, ſo<lb/>
wie durch gleiche Familienverhaͤltniſſe geknuͤpft;<lb/>
er iſt Vater, Hausherr, Landmann und ſo<lb/></p></div></body></text></TEI>
[519/0527]
nicht lebhaft vor ihm wirkten, ſondern nur
ſanft voruͤbergleiteten. Doch hatte dieſe Art
des Vortrags, aus ſeinem Munde, einen
unendlichen Reiz: denn weil er alles aufs
tiefſte empfand, und die Mannigfaltigkeit ei¬
nes ſolchen Werts hochzuſchaͤtzen wußte, ſo
trat das ganze Verdienſt einer Production rein
und um ſo deutlicher hervor, als man nicht
durch ſcharf ausgeſprochene Einzelnheiten ge¬
ſtoͤrt und aus der Empfindung geriſſen wurde,
welche das Ganze gewaͤhren ſollte.
Ein proteſtantiſcher Landgeiſtlicher iſt viel¬
leicht der ſchoͤnſte Gegenſtand einer modernen
Idylle; er erſcheint, wie Melchiſedech, als
Prieſter und Koͤnig in Einer Perſon. An
den unſchuldigſten Zuſtand, der ſich auf Er¬
den denken laͤßt, an den des Ackermanns, iſt
er meiſtens durch gleiche Beſchaͤftigung, ſo
wie durch gleiche Familienverhaͤltniſſe geknuͤpft;
er iſt Vater, Hausherr, Landmann und ſo
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/527>, abgerufen am 10.01.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.