Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

kalte Gleichgültigkeit immer mehr überhand,
und man sieht den Wohlthäter zuletzt als ei¬
nen Fremden an, zu dessen Schaden man
allenfalls, wenn es uns nützlich wäre, auch
etwas unternehmen dürfte. Dieß allein kann
eigentlich Undank genannt werden, der aus
der Rohheit entspringt, worin die ungebildete
Natur sich am Ende nothwendig verlieren muß.
Widerwille gegen das Danken jedoch, Erwie¬
derung einer Wohlthat durch unmuthiges und
verdrießliches Wesen ist sehr selten und kommt
nur bey vorzüglichen Menschen vor: solchen,
die mit großen Anlagen und dem Vorgefühl
derselben, in einem niederen Stande oder in
einer hülflosen Lage geboren, sich von Ju¬
gend auf Schritt vor Schritt durchdrängen
und von allen Orten her Hülfe und Beystand
annehmen müssen, die ihnen denn manchmal
durch Plumpheit der Wohlthäter vergällt und
widerwärtig werden, indem das, was sie
empfangen, irdisch und das, was sie dage¬
gen leisten, höherer Art ist, so daß eine ei¬

II. 31

kalte Gleichguͤltigkeit immer mehr uͤberhand,
und man ſieht den Wohlthaͤter zuletzt als ei¬
nen Fremden an, zu deſſen Schaden man
allenfalls, wenn es uns nuͤtzlich waͤre, auch
etwas unternehmen duͤrfte. Dieß allein kann
eigentlich Undank genannt werden, der aus
der Rohheit entſpringt, worin die ungebildete
Natur ſich am Ende nothwendig verlieren muß.
Widerwille gegen das Danken jedoch, Erwie¬
derung einer Wohlthat durch unmuthiges und
verdrießliches Weſen iſt ſehr ſelten und kommt
nur bey vorzuͤglichen Menſchen vor: ſolchen,
die mit großen Anlagen und dem Vorgefuͤhl
derſelben, in einem niederen Stande oder in
einer huͤlfloſen Lage geboren, ſich von Ju¬
gend auf Schritt vor Schritt durchdraͤngen
und von allen Orten her Huͤlfe und Beyſtand
annehmen muͤſſen, die ihnen denn manchmal
durch Plumpheit der Wohlthaͤter vergaͤllt und
widerwaͤrtig werden, indem das, was ſie
empfangen, irdiſch und das, was ſie dage¬
gen leiſten, hoͤherer Art iſt, ſo daß eine ei¬

II. 31
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0489" n="481"/>
kalte Gleichgu&#x0364;ltigkeit immer mehr u&#x0364;berhand,<lb/>
und man &#x017F;ieht den Wohltha&#x0364;ter zuletzt als ei¬<lb/>
nen Fremden an, zu de&#x017F;&#x017F;en Schaden man<lb/>
allenfalls, wenn es uns nu&#x0364;tzlich wa&#x0364;re, auch<lb/>
etwas unternehmen du&#x0364;rfte. Dieß allein kann<lb/>
eigentlich Undank genannt werden, der aus<lb/>
der Rohheit ent&#x017F;pringt, worin die ungebildete<lb/>
Natur &#x017F;ich am Ende nothwendig verlieren muß.<lb/>
Widerwille gegen das Danken jedoch, Erwie¬<lb/>
derung einer Wohlthat durch unmuthiges und<lb/>
verdrießliches We&#x017F;en i&#x017F;t &#x017F;ehr &#x017F;elten und kommt<lb/>
nur bey vorzu&#x0364;glichen Men&#x017F;chen vor: &#x017F;olchen,<lb/>
die mit großen Anlagen und dem Vorgefu&#x0364;hl<lb/>
der&#x017F;elben, in einem niederen Stande oder in<lb/>
einer hu&#x0364;lflo&#x017F;en Lage geboren, &#x017F;ich von Ju¬<lb/>
gend auf Schritt vor Schritt durchdra&#x0364;ngen<lb/>
und von allen Orten her Hu&#x0364;lfe und Bey&#x017F;tand<lb/>
annehmen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, die ihnen denn manchmal<lb/>
durch Plumpheit der Wohltha&#x0364;ter verga&#x0364;llt und<lb/>
widerwa&#x0364;rtig werden, indem das, was &#x017F;ie<lb/>
empfangen, irdi&#x017F;ch und das, was &#x017F;ie dage¬<lb/>
gen lei&#x017F;ten, ho&#x0364;herer Art i&#x017F;t, &#x017F;o daß eine ei¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">II. 31<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[481/0489] kalte Gleichguͤltigkeit immer mehr uͤberhand, und man ſieht den Wohlthaͤter zuletzt als ei¬ nen Fremden an, zu deſſen Schaden man allenfalls, wenn es uns nuͤtzlich waͤre, auch etwas unternehmen duͤrfte. Dieß allein kann eigentlich Undank genannt werden, der aus der Rohheit entſpringt, worin die ungebildete Natur ſich am Ende nothwendig verlieren muß. Widerwille gegen das Danken jedoch, Erwie¬ derung einer Wohlthat durch unmuthiges und verdrießliches Weſen iſt ſehr ſelten und kommt nur bey vorzuͤglichen Menſchen vor: ſolchen, die mit großen Anlagen und dem Vorgefuͤhl derſelben, in einem niederen Stande oder in einer huͤlfloſen Lage geboren, ſich von Ju¬ gend auf Schritt vor Schritt durchdraͤngen und von allen Orten her Huͤlfe und Beyſtand annehmen muͤſſen, die ihnen denn manchmal durch Plumpheit der Wohlthaͤter vergaͤllt und widerwaͤrtig werden, indem das, was ſie empfangen, irdiſch und das, was ſie dage¬ gen leiſten, hoͤherer Art iſt, ſo daß eine ei¬ II. 31

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/489
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 481. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/489>, abgerufen am 02.06.2024.