Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

die heterogensten, selten mit einander ver¬
bundenen Eigenschaften hier vereint zu schä¬
tzen hatte.

Nun sollte aber die Zeit kommen, wo
das Dichtergenie sich selbst gewahr würde,
sich seine eignen Verhältnisse selbst schüfe und
den Grund zu einer unabhängigen Würde
zu legen verstünde. Alles traf in Klopstock
zusammen, um eine solche Epoche zu begrün¬
den. Er war, von der sinnlichen wie von
der sittlichen Seite betrachtet, ein reiner Jüng¬
ling. Ernst und gründlich erzogen legt er,
von Jugend an, einen großen Werth auf
sich selbst und auf alles was er thut, und
indem er die Schritte seines Lebens bedäch¬
tig vorausmißt, wendet er sich, im Vorge¬
fühl der ganzen Kraft seines Innern, gegen
den höchsten denkbaren Gegenstand. Der
Messias, ein Name, der unendliche Ei¬
genschaften bezeichnet, sollte durch ihn aufs
Neue verherrlicht werden. Der Erlöser sollte

II. 29

die heterogenſten, ſelten mit einander ver¬
bundenen Eigenſchaften hier vereint zu ſchaͤ¬
tzen hatte.

Nun ſollte aber die Zeit kommen, wo
das Dichtergenie ſich ſelbſt gewahr wuͤrde,
ſich ſeine eignen Verhaͤltniſſe ſelbſt ſchuͤfe und
den Grund zu einer unabhaͤngigen Wuͤrde
zu legen verſtuͤnde. Alles traf in Klopſtock
zuſammen, um eine ſolche Epoche zu begruͤn¬
den. Er war, von der ſinnlichen wie von
der ſittlichen Seite betrachtet, ein reiner Juͤng¬
ling. Ernſt und gruͤndlich erzogen legt er,
von Jugend an, einen großen Werth auf
ſich ſelbſt und auf alles was er thut, und
indem er die Schritte ſeines Lebens bedaͤch¬
tig vorausmißt, wendet er ſich, im Vorge¬
fuͤhl der ganzen Kraft ſeines Innern, gegen
den hoͤchſten denkbaren Gegenſtand. Der
Meſſias, ein Name, der unendliche Ei¬
genſchaften bezeichnet, ſollte durch ihn aufs
Neue verherrlicht werden. Der Erloͤſer ſollte

II. 29
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0457" n="449"/>
die heterogen&#x017F;ten, &#x017F;elten mit einander ver¬<lb/>
bundenen Eigen&#x017F;chaften hier vereint zu &#x017F;cha&#x0364;¬<lb/>
tzen hatte.</p><lb/>
        <p>Nun &#x017F;ollte aber die Zeit kommen, wo<lb/>
das Dichtergenie &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t gewahr wu&#x0364;rde,<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;eine eignen Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;chu&#x0364;fe und<lb/>
den Grund zu einer unabha&#x0364;ngigen Wu&#x0364;rde<lb/>
zu legen ver&#x017F;tu&#x0364;nde. Alles traf in <hi rendition="#g">Klop&#x017F;tock</hi><lb/>
zu&#x017F;ammen, um eine &#x017F;olche Epoche zu begru&#x0364;<lb/>
den. Er war, von der &#x017F;innlichen wie von<lb/>
der &#x017F;ittlichen Seite betrachtet, ein reiner Ju&#x0364;ng¬<lb/>
ling. Ern&#x017F;t und gru&#x0364;ndlich erzogen legt er,<lb/>
von Jugend an, einen großen Werth auf<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t und auf alles was er thut, und<lb/>
indem er die Schritte &#x017F;eines Lebens beda&#x0364;ch¬<lb/>
tig vorausmißt, wendet er &#x017F;ich, im Vorge¬<lb/>
fu&#x0364;hl der ganzen Kraft &#x017F;eines Innern, gegen<lb/>
den ho&#x0364;ch&#x017F;ten denkbaren Gegen&#x017F;tand. Der<lb/><hi rendition="#g">Me&#x017F;&#x017F;ias</hi>, ein Name, der unendliche Ei¬<lb/>
gen&#x017F;chaften bezeichnet, &#x017F;ollte durch ihn aufs<lb/>
Neue verherrlicht werden. Der Erlo&#x0364;&#x017F;er &#x017F;ollte<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">II. 29<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[449/0457] die heterogenſten, ſelten mit einander ver¬ bundenen Eigenſchaften hier vereint zu ſchaͤ¬ tzen hatte. Nun ſollte aber die Zeit kommen, wo das Dichtergenie ſich ſelbſt gewahr wuͤrde, ſich ſeine eignen Verhaͤltniſſe ſelbſt ſchuͤfe und den Grund zu einer unabhaͤngigen Wuͤrde zu legen verſtuͤnde. Alles traf in Klopſtock zuſammen, um eine ſolche Epoche zu begruͤn¬ den. Er war, von der ſinnlichen wie von der ſittlichen Seite betrachtet, ein reiner Juͤng¬ ling. Ernſt und gruͤndlich erzogen legt er, von Jugend an, einen großen Werth auf ſich ſelbſt und auf alles was er thut, und indem er die Schritte ſeines Lebens bedaͤch¬ tig vorausmißt, wendet er ſich, im Vorge¬ fuͤhl der ganzen Kraft ſeines Innern, gegen den hoͤchſten denkbaren Gegenſtand. Der Meſſias, ein Name, der unendliche Ei¬ genſchaften bezeichnet, ſollte durch ihn aufs Neue verherrlicht werden. Der Erloͤſer ſollte II. 29

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/457
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/457>, abgerufen am 10.06.2024.