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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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derspruch erlitt. Ich half ihm in solchen
Fällen gewöhnlich über, wofür er mich mit
aufrichtiger Neigung belohnte. Da mir seine
Sinnesweise nichts Fremdes war und ich die¬
selbe vielmehr an meinen besten Freunden
und Freundinnen schon genau hatte kennen
lernen, sie mir auch in ihrer Natürlichkeit
und Naivetät überhaupt wohl zusagte; so
konnte er sich mit mir durchaus am besten
finden. Die Richtung seines Geistes war
mir angenehm und seinen Wunderglauben,
der ihm so wohl zu Statten kam, ließ ich
unangetastet. Auch Salzmann betrug sich
schonend gegen ihn; schonend, sage ich, weil
Salzmann, seinem Character, Wesen, Al¬
ter und Zuständen nach, auf der Seite der
vernünftigen, oder vielmehr verständigen Chri¬
sten stehen und halten mußte, deren Reli¬
gion eigentlich auf der Rechtschaffenheit des
Characters und auf einer männlichen Selbst¬
ständigkeit beruhte, und die sich daher nicht
gern mit Empfindungen, die sie leicht ins

derſpruch erlitt. Ich half ihm in ſolchen
Faͤllen gewoͤhnlich uͤber, wofuͤr er mich mit
aufrichtiger Neigung belohnte. Da mir ſeine
Sinnesweiſe nichts Fremdes war und ich die¬
ſelbe vielmehr an meinen beſten Freunden
und Freundinnen ſchon genau hatte kennen
lernen, ſie mir auch in ihrer Natuͤrlichkeit
und Naivetaͤt uͤberhaupt wohl zuſagte; ſo
konnte er ſich mit mir durchaus am beſten
finden. Die Richtung ſeines Geiſtes war
mir angenehm und ſeinen Wunderglauben,
der ihm ſo wohl zu Statten kam, ließ ich
unangetaſtet. Auch Salzmann betrug ſich
ſchonend gegen ihn; ſchonend, ſage ich, weil
Salzmann, ſeinem Character, Weſen, Al¬
ter und Zuſtaͤnden nach, auf der Seite der
vernuͤnftigen, oder vielmehr verſtaͤndigen Chri¬
ſten ſtehen und halten mußte, deren Reli¬
gion eigentlich auf der Rechtſchaffenheit des
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[383/0391] derſpruch erlitt. Ich half ihm in ſolchen Faͤllen gewoͤhnlich uͤber, wofuͤr er mich mit aufrichtiger Neigung belohnte. Da mir ſeine Sinnesweiſe nichts Fremdes war und ich die¬ ſelbe vielmehr an meinen beſten Freunden und Freundinnen ſchon genau hatte kennen lernen, ſie mir auch in ihrer Natuͤrlichkeit und Naivetaͤt uͤberhaupt wohl zuſagte; ſo konnte er ſich mit mir durchaus am beſten finden. Die Richtung ſeines Geiſtes war mir angenehm und ſeinen Wunderglauben, der ihm ſo wohl zu Statten kam, ließ ich unangetaſtet. Auch Salzmann betrug ſich ſchonend gegen ihn; ſchonend, ſage ich, weil Salzmann, ſeinem Character, Weſen, Al¬ ter und Zuſtaͤnden nach, auf der Seite der vernuͤnftigen, oder vielmehr verſtaͤndigen Chri¬ ſten ſtehen und halten mußte, deren Reli¬ gion eigentlich auf der Rechtſchaffenheit des Characters und auf einer maͤnnlichen Selbſt¬ ſtaͤndigkeit beruhte, und die ſich daher nicht gern mit Empfindungen, die ſie leicht ins

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/391>, abgerufen am 28.11.2024.