möge; besonders aber mußte man sich mit hypochondrischen Aeußerungen in seiner Ge¬ genwart in Acht nehmen, weil er alsdann heftig und bitter werden konnte.
Meine Mutter, von Natur sehr lebhaft und heiter, brachte unter diesen Umständen sehr langweilige Tage zu. Die kleine Haus¬ haltung war bald besorgt. Das Gemüth der guten, innerlich niemals unbeschäftigten Frau wollte auch einiges Interesse finden, und das nächste begegnete ihr in der Religion, das sie um so lieber ergriff, als ihre vorzüglichsten Freundinnen gebildete und herzliche Gottesver¬ ehrerinnen waren. Unter diesen stand Fräu¬ lein von Klettenberg obenan. Es ist die¬ selbe, aus deren Unterhaltungen und Briefen die Bekenntnisse der schönen Seele entstanden sind, die man in Wilhelm Meister eingeschal¬ tet findet. Sie war zart gebaut, von mitt¬ lerer Größe; ein herzliches natürliches Betra¬ gen war durch Welt- und Hofart noch gefäl¬
moͤge; beſonders aber mußte man ſich mit hypochondriſchen Aeußerungen in ſeiner Ge¬ genwart in Acht nehmen, weil er alsdann heftig und bitter werden konnte.
Meine Mutter, von Natur ſehr lebhaft und heiter, brachte unter dieſen Umſtaͤnden ſehr langweilige Tage zu. Die kleine Haus¬ haltung war bald beſorgt. Das Gemuͤth der guten, innerlich niemals unbeſchaͤftigten Frau wollte auch einiges Intereſſe finden, und das naͤchſte begegnete ihr in der Religion, das ſie um ſo lieber ergriff, als ihre vorzuͤglichſten Freundinnen gebildete und herzliche Gottesver¬ ehrerinnen waren. Unter dieſen ſtand Fraͤu¬ lein von Klettenberg obenan. Es iſt die¬ ſelbe, aus deren Unterhaltungen und Briefen die Bekenntniſſe der ſchoͤnen Seele entſtanden ſind, die man in Wilhelm Meiſter eingeſchal¬ tet findet. Sie war zart gebaut, von mitt¬ lerer Groͤße; ein herzliches natuͤrliches Betra¬ gen war durch Welt- und Hofart noch gefaͤl¬
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moͤge; beſonders aber mußte man ſich mit
hypochondriſchen Aeußerungen in ſeiner Ge¬
genwart in Acht nehmen, weil er alsdann
heftig und bitter werden konnte.
Meine Mutter, von Natur ſehr lebhaft
und heiter, brachte unter dieſen Umſtaͤnden
ſehr langweilige Tage zu. Die kleine Haus¬
haltung war bald beſorgt. Das Gemuͤth der
guten, innerlich niemals unbeſchaͤftigten Frau
wollte auch einiges Intereſſe finden, und das
naͤchſte begegnete ihr in der Religion, das ſie
um ſo lieber ergriff, als ihre vorzuͤglichſten
Freundinnen gebildete und herzliche Gottesver¬
ehrerinnen waren. Unter dieſen ſtand Fraͤu¬
lein von Klettenberg obenan. Es iſt die¬
ſelbe, aus deren Unterhaltungen und Briefen
die Bekenntniſſe der ſchoͤnen Seele entſtanden
ſind, die man in Wilhelm Meiſter eingeſchal¬
tet findet. Sie war zart gebaut, von mitt¬
lerer Groͤße; ein herzliches natuͤrliches Betra¬
gen war durch Welt- und Hofart noch gefaͤl¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/310>, abgerufen am 10.06.2024.
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