liger geworden. Ihr sehr netter Anzug erin¬ nerte an die Kleidung Herrnhutischer Frauen. Heiterkeit und Gemüthsruhe verließen sie nie¬ mals. Sie betrachtete ihre Krankheit als ei¬ nen nothwendigen Bestandtheil ihres vorü¬ bergehenden irdischen Seyns; sie litt mit der größten Geduld, und in schmerzlosen Inter¬ vallen war sie lebhaft und gesprächig. Ihre liebste, ja vielleicht einzige Unterhaltung wa¬ ren die sittlichen Erfahrungen, die der Mensch, der sich beobachtet, an sich selbst machen kann; woran sich denn die religiosen Gesinnungen an¬ schlossen, die auf eine sehr anmuthige, ja ge¬ niale Weise bey ihr als natürlich und über¬ natürlich in Betracht kamen. Mehr bedarf es kaum, um jene ausführliche, in ihre Seele ver¬ faßte Schilderung den Freunden solcher Dar¬ stellungen wieder ins Gedächtniß zu rufen. Bey dem ganz eignen Gange, den sie von Jugend auf genommen hatte, und bey dem vor¬ nehmeren Stande, in dem sie geboren und er¬ zogen war, bey der Lebhaftigkeit und Eigen¬
liger geworden. Ihr ſehr netter Anzug erin¬ nerte an die Kleidung Herrnhutiſcher Frauen. Heiterkeit und Gemuͤthsruhe verließen ſie nie¬ mals. Sie betrachtete ihre Krankheit als ei¬ nen nothwendigen Beſtandtheil ihres voruͤ¬ bergehenden irdiſchen Seyns; ſie litt mit der groͤßten Geduld, und in ſchmerzloſen Inter¬ vallen war ſie lebhaft und geſpraͤchig. Ihre liebſte, ja vielleicht einzige Unterhaltung wa¬ ren die ſittlichen Erfahrungen, die der Menſch, der ſich beobachtet, an ſich ſelbſt machen kann; woran ſich denn die religioſen Geſinnungen an¬ ſchloſſen, die auf eine ſehr anmuthige, ja ge¬ niale Weiſe bey ihr als natuͤrlich und uͤber¬ natuͤrlich in Betracht kamen. Mehr bedarf es kaum, um jene ausfuͤhrliche, in ihre Seele ver¬ faßte Schilderung den Freunden ſolcher Dar¬ ſtellungen wieder ins Gedaͤchtniß zu rufen. Bey dem ganz eignen Gange, den ſie von Jugend auf genommen hatte, und bey dem vor¬ nehmeren Stande, in dem ſie geboren und er¬ zogen war, bey der Lebhaftigkeit und Eigen¬
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liger geworden. Ihr ſehr netter Anzug erin¬
nerte an die Kleidung Herrnhutiſcher Frauen.
Heiterkeit und Gemuͤthsruhe verließen ſie nie¬
mals. Sie betrachtete ihre Krankheit als ei¬
nen nothwendigen Beſtandtheil ihres voruͤ¬
bergehenden irdiſchen Seyns; ſie litt mit der
groͤßten Geduld, und in ſchmerzloſen Inter¬
vallen war ſie lebhaft und geſpraͤchig. Ihre
liebſte, ja vielleicht einzige Unterhaltung wa¬
ren die ſittlichen Erfahrungen, die der Menſch,
der ſich beobachtet, an ſich ſelbſt machen kann;
woran ſich denn die religioſen Geſinnungen an¬
ſchloſſen, die auf eine ſehr anmuthige, ja ge¬
niale Weiſe bey ihr als natuͤrlich und uͤber¬
natuͤrlich in Betracht kamen. Mehr bedarf es
kaum, um jene ausfuͤhrliche, in ihre Seele ver¬
faßte Schilderung den Freunden ſolcher Dar¬
ſtellungen wieder ins Gedaͤchtniß zu rufen.
Bey dem ganz eignen Gange, den ſie von
Jugend auf genommen hatte, und bey dem vor¬
nehmeren Stande, in dem ſie geboren und er¬
zogen war, bey der Lebhaftigkeit und Eigen¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/311>, abgerufen am 23.11.2024.
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