und entwickelte sogar einige Keime von pos¬ senhaftem Humor, den ich an ihr nie gekannt hatte, und der ihr sehr gut ließ. Es ent¬ spann sich bald unter uns eine Cotterie-Spra¬ che, wodurch wir vor allen Menschen reden konnten, ohne daß sie uns verstanden, und sie bediente sich dieses Rothwelsches öfters mit vieler Keckheit in Gegenwart der Aeltern.
Persönlich war mein Vater in ziemlicher Behaglichkeit. Er befand sich wohl, brachte einen großen Theil des Tags mit dem Unter¬ richte meiner Schwester zu, schrieb an seiner Reisebeschreibung, und stimmte seine Laute länger als er darauf spielte. Er verhehlte da¬ bey so gut er konnte den Verdruß, anstatt eines rüstigen, thätigen Sohns, der nun pro¬ moviren und jene vorgeschriebene Lebensbahn durchlaufen sollte, einen Kränkling zu finden, der noch mehr an der Seele als am Körper zu leiden schien. Er verbarg nicht seinen Wunsch, daß man sich mit der Cur expediren
und entwickelte ſogar einige Keime von poſ¬ ſenhaftem Humor, den ich an ihr nie gekannt hatte, und der ihr ſehr gut ließ. Es ent¬ ſpann ſich bald unter uns eine Cotterie-Spra¬ che, wodurch wir vor allen Menſchen reden konnten, ohne daß ſie uns verſtanden, und ſie bediente ſich dieſes Rothwelſches oͤfters mit vieler Keckheit in Gegenwart der Aeltern.
Perſoͤnlich war mein Vater in ziemlicher Behaglichkeit. Er befand ſich wohl, brachte einen großen Theil des Tags mit dem Unter¬ richte meiner Schweſter zu, ſchrieb an ſeiner Reiſebeſchreibung, und ſtimmte ſeine Laute laͤnger als er darauf ſpielte. Er verhehlte da¬ bey ſo gut er konnte den Verdruß, anſtatt eines ruͤſtigen, thaͤtigen Sohns, der nun pro¬ moviren und jene vorgeſchriebene Lebensbahn durchlaufen ſollte, einen Kraͤnkling zu finden, der noch mehr an der Seele als am Koͤrper zu leiden ſchien. Er verbarg nicht ſeinen Wunſch, daß man ſich mit der Cur expediren
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[301/0309]
und entwickelte ſogar einige Keime von poſ¬
ſenhaftem Humor, den ich an ihr nie gekannt
hatte, und der ihr ſehr gut ließ. Es ent¬
ſpann ſich bald unter uns eine Cotterie-Spra¬
che, wodurch wir vor allen Menſchen reden
konnten, ohne daß ſie uns verſtanden, und
ſie bediente ſich dieſes Rothwelſches oͤfters mit
vieler Keckheit in Gegenwart der Aeltern.
Perſoͤnlich war mein Vater in ziemlicher
Behaglichkeit. Er befand ſich wohl, brachte
einen großen Theil des Tags mit dem Unter¬
richte meiner Schweſter zu, ſchrieb an ſeiner
Reiſebeſchreibung, und ſtimmte ſeine Laute
laͤnger als er darauf ſpielte. Er verhehlte da¬
bey ſo gut er konnte den Verdruß, anſtatt
eines ruͤſtigen, thaͤtigen Sohns, der nun pro¬
moviren und jene vorgeſchriebene Lebensbahn
durchlaufen ſollte, einen Kraͤnkling zu finden,
der noch mehr an der Seele als am Koͤrper
zu leiden ſchien. Er verbarg nicht ſeinen
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/309>, abgerufen am 23.11.2024.
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