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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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Wir haben angeborne und anerzogene
Schwächen, und es möchte noch die Frage
seyn, welche von beyden uns am meisten zu
schaffen geben. So gern ich mich mit jeder
Art von Zuständen bekannt machte und dazu
manchen Anlaß gehabt hatte, war mir doch
von meinem Vater eine äußerste Abneigung
gegen alle Gasthöfe eingeflößt worden. Auf
seinen Reisen durch Italien, Frankreich und
Deutschland hatte sich diese Gesinnung fest bey
ihm eingewurzelt. Ob er gleich selten in Bil¬
dern sprach, und dieselben nur wenn er sehr
heiter war zu Hülfe rief; so pflegte er doch
manchmal zu wiederholen: in dem Thore ei¬
nes Gasthofs glaube er immer ein großes
Spinnengewebe ausgespannt zu sehen, so künst¬
lich, daß die Insecten zwar hineinwärts, aber
selbst die privilegirten Wespen nicht ungerupft
herausfliegen könnten. Es schien ihm etwas
Erschreckliches, dafür, daß man seinen Ge¬
wohnheiten und allem, was einem lieb im Le¬
ben wäre, entsagte und nach der Weise des

Wir haben angeborne und anerzogene
Schwaͤchen, und es moͤchte noch die Frage
ſeyn, welche von beyden uns am meiſten zu
ſchaffen geben. So gern ich mich mit jeder
Art von Zuſtaͤnden bekannt machte und dazu
manchen Anlaß gehabt hatte, war mir doch
von meinem Vater eine aͤußerſte Abneigung
gegen alle Gaſthoͤfe eingefloͤßt worden. Auf
ſeinen Reiſen durch Italien, Frankreich und
Deutſchland hatte ſich dieſe Geſinnung feſt bey
ihm eingewurzelt. Ob er gleich ſelten in Bil¬
dern ſprach, und dieſelben nur wenn er ſehr
heiter war zu Huͤlfe rief; ſo pflegte er doch
manchmal zu wiederholen: in dem Thore ei¬
nes Gaſthofs glaube er immer ein großes
Spinnengewebe ausgeſpannt zu ſehen, ſo kuͤnſt¬
lich, daß die Inſecten zwar hineinwaͤrts, aber
ſelbſt die privilegirten Wespen nicht ungerupft
herausfliegen koͤnnten. Es ſchien ihm etwas
Erſchreckliches, dafuͤr, daß man ſeinen Ge¬
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[252/0260] Wir haben angeborne und anerzogene Schwaͤchen, und es moͤchte noch die Frage ſeyn, welche von beyden uns am meiſten zu ſchaffen geben. So gern ich mich mit jeder Art von Zuſtaͤnden bekannt machte und dazu manchen Anlaß gehabt hatte, war mir doch von meinem Vater eine aͤußerſte Abneigung gegen alle Gaſthoͤfe eingefloͤßt worden. Auf ſeinen Reiſen durch Italien, Frankreich und Deutſchland hatte ſich dieſe Geſinnung feſt bey ihm eingewurzelt. Ob er gleich ſelten in Bil¬ dern ſprach, und dieſelben nur wenn er ſehr heiter war zu Huͤlfe rief; ſo pflegte er doch manchmal zu wiederholen: in dem Thore ei¬ nes Gaſthofs glaube er immer ein großes Spinnengewebe ausgeſpannt zu ſehen, ſo kuͤnſt¬ lich, daß die Inſecten zwar hineinwaͤrts, aber ſelbſt die privilegirten Wespen nicht ungerupft herausfliegen koͤnnten. Es ſchien ihm etwas Erſchreckliches, dafuͤr, daß man ſeinen Ge¬ wohnheiten und allem, was einem lieb im Le¬ ben waͤre, entſagte und nach der Weiſe des

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/260>, abgerufen am 23.11.2024.