Einer Stadt kann kein größeres Glück be¬ gegnen, als wenn mehrere, im Guten und Rechten Gleichgesinnte, schon gebildete Män¬ ner daselbst neben einander wohnen. Diesen Vorzug hatte Leipzig und genoß ihn um so friedlicher, als sich noch nicht so manche Ent¬ zweyungen des Urtheils hervorgethan hatten. Huber, Kupferstichsammler und wohlgeübter Kenner, hatte noch außerdem das dankbar an¬ erkannte Verdienst, daß er den Werth der deutschen Litteratur auch den Franzosen be¬ kannt zu machen gedachte; Kreuchauf, Liebhaber mit geübtem Blick, der, als Freund der ganzen Kunstsocietät, alle Sammlungen für die seinigen ansehen konnte; Winkler, der die einsichtsvolle Freude, die er an seinen Schätzen hegte, sehr gern mit Anderen theil¬ te; mancher Andere, der sich anschloß, alle lebten und wirkten nur in Einem Sinne, und ich wüßte mich nicht zu erinnern, so oft ich auch wenn sie Kunstwerke durchsahen bey¬ wohnen durfte, daß jemals ein Zwiespalt ent¬
Einer Stadt kann kein groͤßeres Gluͤck be¬ gegnen, als wenn mehrere, im Guten und Rechten Gleichgeſinnte, ſchon gebildete Maͤn¬ ner daſelbſt neben einander wohnen. Dieſen Vorzug hatte Leipzig und genoß ihn um ſo friedlicher, als ſich noch nicht ſo manche Ent¬ zweyungen des Urtheils hervorgethan hatten. Huber, Kupferſtichſammler und wohlgeuͤbter Kenner, hatte noch außerdem das dankbar an¬ erkannte Verdienſt, daß er den Werth der deutſchen Litteratur auch den Franzoſen be¬ kannt zu machen gedachte; Kreuchauf, Liebhaber mit geuͤbtem Blick, der, als Freund der ganzen Kunſtſocietaͤt, alle Sammlungen fuͤr die ſeinigen anſehen konnte; Winkler, der die einſichtsvolle Freude, die er an ſeinen Schaͤtzen hegte, ſehr gern mit Anderen theil¬ te; mancher Andere, der ſich anſchloß, alle lebten und wirkten nur in Einem Sinne, und ich wuͤßte mich nicht zu erinnern, ſo oft ich auch wenn ſie Kunſtwerke durchſahen bey¬ wohnen durfte, daß jemals ein Zwieſpalt ent¬
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Einer Stadt kann kein groͤßeres Gluͤck be¬
gegnen, als wenn mehrere, im Guten und
Rechten Gleichgeſinnte, ſchon gebildete Maͤn¬
ner daſelbſt neben einander wohnen. Dieſen
Vorzug hatte Leipzig und genoß ihn um ſo
friedlicher, als ſich noch nicht ſo manche Ent¬
zweyungen des Urtheils hervorgethan hatten.
Huber, Kupferſtichſammler und wohlgeuͤbter
Kenner, hatte noch außerdem das dankbar an¬
erkannte Verdienſt, daß er den Werth der
deutſchen Litteratur auch den Franzoſen be¬
kannt zu machen gedachte; Kreuchauf,
Liebhaber mit geuͤbtem Blick, der, als Freund
der ganzen Kunſtſocietaͤt, alle Sammlungen
fuͤr die ſeinigen anſehen konnte; Winkler,
der die einſichtsvolle Freude, die er an ſeinen
Schaͤtzen hegte, ſehr gern mit Anderen theil¬
te; mancher Andere, der ſich anſchloß, alle
lebten und wirkten nur in Einem Sinne, und
ich wuͤßte mich nicht zu erinnern, ſo oft ich
auch wenn ſie Kunſtwerke durchſahen bey¬
wohnen durfte, daß jemals ein Zwieſpalt ent¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/253>, abgerufen am 23.11.2024.
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