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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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die Vergleichung eher möglich sey. Indem
wir uns nun damit soviel als erlaubt war
beschäftigten, so wurde auf das hohe Kunstle¬
ben Winkelmanns in Italien hingedeutet,
und wir nahmen dessen erste Schriften mit
Andacht in die Hände; denn Oeser hatte eine
leidenschaftliche Verehrung für ihn, die er uns
gar leicht einzuflößen vermochte. Das Pro¬
blematische jener kleinen Aufsätze, die sich noch
dazu durch Ironie selbst verwirren und sich
auf ganz specielle Meynungen und Ereignisse
beziehen, vermochten wir zwar nicht zu ent¬
ziffern; allein weil Oeser viel Einfluß darauf
gehabt, und er das Evangelium des Schö¬
nen, mehr noch des Geschmackvollen und An¬
genehmen auch uns unablässig überlieferte, so
fanden wir den Sinn im Allgemeinen wieder
und dünkten uns bey solchen Auslegungen um
desto sicherer zu gehen, als wir es für kein
geringes Glück achteten, aus derselben Quelle
zu schöpfen, aus der Winkelmann seinen ersten
Durst gestillt hatte.

die Vergleichung eher moͤglich ſey. Indem
wir uns nun damit ſoviel als erlaubt war
beſchaͤftigten, ſo wurde auf das hohe Kunſtle¬
ben Winkelmanns in Italien hingedeutet,
und wir nahmen deſſen erſte Schriften mit
Andacht in die Haͤnde; denn Oeſer hatte eine
leidenſchaftliche Verehrung fuͤr ihn, die er uns
gar leicht einzufloͤßen vermochte. Das Pro¬
blematiſche jener kleinen Aufſaͤtze, die ſich noch
dazu durch Ironie ſelbſt verwirren und ſich
auf ganz ſpecielle Meynungen und Ereigniſſe
beziehen, vermochten wir zwar nicht zu ent¬
ziffern; allein weil Oeſer viel Einfluß darauf
gehabt, und er das Evangelium des Schoͤ¬
nen, mehr noch des Geſchmackvollen und An¬
genehmen auch uns unablaͤſſig uͤberlieferte, ſo
fanden wir den Sinn im Allgemeinen wieder
und duͤnkten uns bey ſolchen Auslegungen um
deſto ſicherer zu gehen, als wir es fuͤr kein
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[244/0252] die Vergleichung eher moͤglich ſey. Indem wir uns nun damit ſoviel als erlaubt war beſchaͤftigten, ſo wurde auf das hohe Kunſtle¬ ben Winkelmanns in Italien hingedeutet, und wir nahmen deſſen erſte Schriften mit Andacht in die Haͤnde; denn Oeſer hatte eine leidenſchaftliche Verehrung fuͤr ihn, die er uns gar leicht einzufloͤßen vermochte. Das Pro¬ blematiſche jener kleinen Aufſaͤtze, die ſich noch dazu durch Ironie ſelbſt verwirren und ſich auf ganz ſpecielle Meynungen und Ereigniſſe beziehen, vermochten wir zwar nicht zu ent¬ ziffern; allein weil Oeſer viel Einfluß darauf gehabt, und er das Evangelium des Schoͤ¬ nen, mehr noch des Geſchmackvollen und An¬ genehmen auch uns unablaͤſſig uͤberlieferte, ſo fanden wir den Sinn im Allgemeinen wieder und duͤnkten uns bey ſolchen Auslegungen um deſto ſicherer zu gehen, als wir es fuͤr kein geringes Gluͤck achteten, aus derſelben Quelle zu ſchoͤpfen, aus der Winkelmann ſeinen erſten Durſt geſtillt hatte.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/252>, abgerufen am 23.11.2024.