die Vergleichung eher möglich sey. Indem wir uns nun damit soviel als erlaubt war beschäftigten, so wurde auf das hohe Kunstle¬ ben Winkelmanns in Italien hingedeutet, und wir nahmen dessen erste Schriften mit Andacht in die Hände; denn Oeser hatte eine leidenschaftliche Verehrung für ihn, die er uns gar leicht einzuflößen vermochte. Das Pro¬ blematische jener kleinen Aufsätze, die sich noch dazu durch Ironie selbst verwirren und sich auf ganz specielle Meynungen und Ereignisse beziehen, vermochten wir zwar nicht zu ent¬ ziffern; allein weil Oeser viel Einfluß darauf gehabt, und er das Evangelium des Schö¬ nen, mehr noch des Geschmackvollen und An¬ genehmen auch uns unablässig überlieferte, so fanden wir den Sinn im Allgemeinen wieder und dünkten uns bey solchen Auslegungen um desto sicherer zu gehen, als wir es für kein geringes Glück achteten, aus derselben Quelle zu schöpfen, aus der Winkelmann seinen ersten Durst gestillt hatte.
die Vergleichung eher moͤglich ſey. Indem wir uns nun damit ſoviel als erlaubt war beſchaͤftigten, ſo wurde auf das hohe Kunſtle¬ ben Winkelmanns in Italien hingedeutet, und wir nahmen deſſen erſte Schriften mit Andacht in die Haͤnde; denn Oeſer hatte eine leidenſchaftliche Verehrung fuͤr ihn, die er uns gar leicht einzufloͤßen vermochte. Das Pro¬ blematiſche jener kleinen Aufſaͤtze, die ſich noch dazu durch Ironie ſelbſt verwirren und ſich auf ganz ſpecielle Meynungen und Ereigniſſe beziehen, vermochten wir zwar nicht zu ent¬ ziffern; allein weil Oeſer viel Einfluß darauf gehabt, und er das Evangelium des Schoͤ¬ nen, mehr noch des Geſchmackvollen und An¬ genehmen auch uns unablaͤſſig uͤberlieferte, ſo fanden wir den Sinn im Allgemeinen wieder und duͤnkten uns bey ſolchen Auslegungen um deſto ſicherer zu gehen, als wir es fuͤr kein geringes Gluͤck achteten, aus derſelben Quelle zu ſchoͤpfen, aus der Winkelmann ſeinen erſten Durſt geſtillt hatte.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0252"n="244"/>
die Vergleichung eher moͤglich ſey. Indem<lb/>
wir uns nun damit ſoviel als erlaubt war<lb/>
beſchaͤftigten, ſo wurde auf das hohe Kunſtle¬<lb/>
ben <hirendition="#g">Winkelmanns</hi> in Italien hingedeutet,<lb/>
und wir nahmen deſſen erſte Schriften mit<lb/>
Andacht in die Haͤnde; denn Oeſer hatte eine<lb/>
leidenſchaftliche Verehrung fuͤr ihn, die er uns<lb/>
gar leicht einzufloͤßen vermochte. Das Pro¬<lb/>
blematiſche jener kleinen Aufſaͤtze, die ſich noch<lb/>
dazu durch Ironie ſelbſt verwirren und ſich<lb/>
auf ganz ſpecielle Meynungen und Ereigniſſe<lb/>
beziehen, vermochten wir zwar nicht zu ent¬<lb/>
ziffern; allein weil Oeſer viel Einfluß darauf<lb/>
gehabt, und er das Evangelium des Schoͤ¬<lb/>
nen, mehr noch des Geſchmackvollen und An¬<lb/>
genehmen auch uns unablaͤſſig uͤberlieferte, ſo<lb/>
fanden wir den Sinn im Allgemeinen wieder<lb/>
und duͤnkten uns bey ſolchen Auslegungen um<lb/>
deſto ſicherer zu gehen, als wir es fuͤr kein<lb/>
geringes Gluͤck achteten, aus derſelben Quelle<lb/>
zu ſchoͤpfen, aus der Winkelmann ſeinen erſten<lb/>
Durſt geſtillt hatte.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[244/0252]
die Vergleichung eher moͤglich ſey. Indem
wir uns nun damit ſoviel als erlaubt war
beſchaͤftigten, ſo wurde auf das hohe Kunſtle¬
ben Winkelmanns in Italien hingedeutet,
und wir nahmen deſſen erſte Schriften mit
Andacht in die Haͤnde; denn Oeſer hatte eine
leidenſchaftliche Verehrung fuͤr ihn, die er uns
gar leicht einzufloͤßen vermochte. Das Pro¬
blematiſche jener kleinen Aufſaͤtze, die ſich noch
dazu durch Ironie ſelbſt verwirren und ſich
auf ganz ſpecielle Meynungen und Ereigniſſe
beziehen, vermochten wir zwar nicht zu ent¬
ziffern; allein weil Oeſer viel Einfluß darauf
gehabt, und er das Evangelium des Schoͤ¬
nen, mehr noch des Geſchmackvollen und An¬
genehmen auch uns unablaͤſſig uͤberlieferte, ſo
fanden wir den Sinn im Allgemeinen wieder
und duͤnkten uns bey ſolchen Auslegungen um
deſto ſicherer zu gehen, als wir es fuͤr kein
geringes Gluͤck achteten, aus derſelben Quelle
zu ſchoͤpfen, aus der Winkelmann ſeinen erſten
Durſt geſtillt hatte.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/252>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.