len einnahm. Er hatte daselbst einen guten Grund in den Sprachen und was man sonst zu einer gelehrten Erziehung rechnete, gelegt, nachher in Leipzig sich der Rechtswissenschaft beflissen, und zuletzt in Gießen promovirt. Seine mit Ernst und Fleiß verfaßte Disser¬ tation: Electa de aditione hereditatis, wird noch von den Rechtslehrern mit Lob angeführt.
Es ist ein frommer Wunsch aller Väter, das was ihnen selbst abgegangen, an den Söhnen realisirt zu sehen, so ohngefähr als wenn man zum zweyten Mal lebte und die Erfahrungen des ersten Lebenslaufes nun erst recht nutzen wollte. Im Gefühl seiner Kennt¬ nisse, in Gewißheit einer treuen Ausdauer, und im Mistrauen gegen die damaligen Leh¬ rer, nahm der Vater sich vor, seine Kinder selbst zu unterrichten, und nur soviel als es nöthig schien, einzelne Stunden durch eigent¬ liche Lehrmeister zu besetzen. Ein pädagogi¬
len einnahm. Er hatte daſelbſt einen guten Grund in den Sprachen und was man ſonſt zu einer gelehrten Erziehung rechnete, gelegt, nachher in Leipzig ſich der Rechtswiſſenſchaft befliſſen, und zuletzt in Gießen promovirt. Seine mit Ernſt und Fleiß verfaßte Diſſer¬ tation: Electa de aditione hereditatis, wird noch von den Rechtslehrern mit Lob angefuͤhrt.
Es iſt ein frommer Wunſch aller Vaͤter, das was ihnen ſelbſt abgegangen, an den Soͤhnen realiſirt zu ſehen, ſo ohngefaͤhr als wenn man zum zweyten Mal lebte und die Erfahrungen des erſten Lebenslaufes nun erſt recht nutzen wollte. Im Gefuͤhl ſeiner Kennt¬ niſſe, in Gewißheit einer treuen Ausdauer, und im Mistrauen gegen die damaligen Leh¬ rer, nahm der Vater ſich vor, ſeine Kinder ſelbſt zu unterrichten, und nur ſoviel als es noͤthig ſchien, einzelne Stunden durch eigent¬ liche Lehrmeiſter zu beſetzen. Ein paͤdagogi¬
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len einnahm. Er hatte daſelbſt einen guten
Grund in den Sprachen und was man ſonſt
zu einer gelehrten Erziehung rechnete, gelegt,
nachher in Leipzig ſich der Rechtswiſſenſchaft
befliſſen, und zuletzt in Gießen promovirt.
Seine mit Ernſt und Fleiß verfaßte Diſſer¬
tation: Electa de aditione hereditatis,
wird noch von den Rechtslehrern mit Lob
angefuͤhrt.
Es iſt ein frommer Wunſch aller Vaͤter,
das was ihnen ſelbſt abgegangen, an den
Soͤhnen realiſirt zu ſehen, ſo ohngefaͤhr als
wenn man zum zweyten Mal lebte und die
Erfahrungen des erſten Lebenslaufes nun erſt
recht nutzen wollte. Im Gefuͤhl ſeiner Kennt¬
niſſe, in Gewißheit einer treuen Ausdauer,
und im Mistrauen gegen die damaligen Leh¬
rer, nahm der Vater ſich vor, ſeine Kinder
ſelbſt zu unterrichten, und nur ſoviel als es
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liche Lehrmeiſter zu beſetzen. Ein paͤdagogi¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/71>, abgerufen am 22.11.2024.
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