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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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und war für die Kinder um so fürchterlicher,
als das ganz außer sich gesetzte Hausgesinde
sie in einen dunklen Gang mit fortriß, und
dort auf den Knieen liegend durch schreckli¬
ches Geheul und Geschrey die erzürnte Gott¬
heit zu versöhnen glaubte; indessen der Vater
ganz allein gefaßt, die Fensterflügel aufriß
und aushob; wodurch er zwar manche Schei¬
ben rettete, aber auch dem auf den Hagel
folgenden Regenguß einen desto offnern Weg
bereitete, so daß man sich, nach endlicher
Erholung, auf den Vorsälen und Treppen
von flutendem und rinnendem Wasser umge¬
ben sah.

Solche Vorfälle, wie störend sie auch im
Ganzen waren, unterbrachen doch nur wenig den
Gang und die Folge des Unterrichts, den der
Vater selbst uns Kindern zu geben sich einmal
vorgenommen. Er hatte seine Jugend auf dem
Coburger Gymnasium zugebracht, welches unter
den deutschen Lehranstalten eine der ersten Stel¬

und war fuͤr die Kinder um ſo fuͤrchterlicher,
als das ganz außer ſich geſetzte Hausgeſinde
ſie in einen dunklen Gang mit fortriß, und
dort auf den Knieen liegend durch ſchreckli¬
ches Geheul und Geſchrey die erzuͤrnte Gott¬
heit zu verſoͤhnen glaubte; indeſſen der Vater
ganz allein gefaßt, die Fenſterfluͤgel aufriß
und aushob; wodurch er zwar manche Schei¬
ben rettete, aber auch dem auf den Hagel
folgenden Regenguß einen deſto offnern Weg
bereitete, ſo daß man ſich, nach endlicher
Erholung, auf den Vorſaͤlen und Treppen
von flutendem und rinnendem Waſſer umge¬
ben ſah.

Solche Vorfaͤlle, wie ſtoͤrend ſie auch im
Ganzen waren, unterbrachen doch nur wenig den
Gang und die Folge des Unterrichts, den der
Vater ſelbſt uns Kindern zu geben ſich einmal
vorgenommen. Er hatte ſeine Jugend auf dem
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[54/0070] und war fuͤr die Kinder um ſo fuͤrchterlicher, als das ganz außer ſich geſetzte Hausgeſinde ſie in einen dunklen Gang mit fortriß, und dort auf den Knieen liegend durch ſchreckli¬ ches Geheul und Geſchrey die erzuͤrnte Gott¬ heit zu verſoͤhnen glaubte; indeſſen der Vater ganz allein gefaßt, die Fenſterfluͤgel aufriß und aushob; wodurch er zwar manche Schei¬ ben rettete, aber auch dem auf den Hagel folgenden Regenguß einen deſto offnern Weg bereitete, ſo daß man ſich, nach endlicher Erholung, auf den Vorſaͤlen und Treppen von flutendem und rinnendem Waſſer umge¬ ben ſah. Solche Vorfaͤlle, wie ſtoͤrend ſie auch im Ganzen waren, unterbrachen doch nur wenig den Gang und die Folge des Unterrichts, den der Vater ſelbſt uns Kindern zu geben ſich einmal vorgenommen. Er hatte ſeine Jugend auf dem Coburger Gymnaſium zugebracht, welches unter den deutſchen Lehranſtalten eine der erſten Stel¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/70>, abgerufen am 17.05.2024.